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Niemand hat die Absicht

Warum erklärte London 1939 den Sowjets nicht den Krieg?

Als die deutsche Wehrmacht Polen angegriffen hatte, erklärte Groß­britannien nach einem außergewöhnlich kurzen Ultimatum am 3. September 1939 Deutschland den Krieg. Als die Sowjets am 17. Septem­ber in Polen von Osten einmarschierten, erklärte London Moskau nicht den Krieg, brach nicht einmal die diplomatischen Beziehungen ab. Der bezeichnende Unterschied der Behandlung zweier Angreifer durch die Westmächte wird heute gern zu verschweigen versucht. Seine Begrün­dung zeigt die wahren Absichten der Briten: Sie wollten nur Deutschland vernichten und benutzten dabei Polen, um den Krieg auszulösen.

Was waren die Einzelheiten? Nach dem Münchener Abkommen vom 29. September 1938 war eine Garantie der vier Unterzeichnermächte für die Tschechoslowakei vorgesehen gewesen, kam aber nicht zustande. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag am 15. März 1939 und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren am folgenden Tag war eine Viermächteerklärung von Großbritannien, Frankreich, Polen und der Sowjetunion über Konsultationen für den Fall geplant, daß die Unabhängigkeit eines europäischen Staates bedroht werde. Sie scheiterte jedoch an Polen, das die Teilnahme der Sowjetunion daran ablehnte.

Am 31. März 1939 gab in London Premierminister CHAMBERLAIN eine Garantie für die Unabhängigkeit Polens, den viel genannten >Blanko­scheck<, ab und schürte damit Warschaus Kriegswillen und stärkte des­sen Haltung der Ablehnung aller Vorschläge HITLERS zu einer friedlichen Lösung der Danzig-Frage.

Die im Sommer 1939 wochenlang in Moskau laufenden Bündnis­gespräche Englands und Frankreichs mit dem Kreml scheiterten, als die Sowjetunion überraschend mit dem Deutschen Reich am 19. August ein Finanzabkommen und am 23. August 1939 das deutsch-sowjetische Ab­kommen abschloß. Daraufhin erneuerte und erweiterte England am 23. August das Beistandsabkommen mit Polen vom 31. März, das am 25. August förmlich ratifiziert wurde und die Garantie englischer militäri­scher Hilfe bei einem feindlichen Angriff auf Polen zusagte.

Dieses Abkommen hatte einen geheim gehaltenen Zusatz, der besag­te, daß unter einer feindlichen Macht nur das Deutsche Reich zu verste­hen sei, insbesondere also nicht die Sowjetunion. Die Sowjetunion er­hielt durch Agenten bald Kenntnis von diesem Zusatz.

Als die deutschen Truppen Warschau eingeschlossen und Brest-Li­towsk an der alten polnisch-russischen Grenze erobert hatten, marschier­ten die Sowjets am Sonntag, dem 17. September 1939, in Ostpolen ein, das Polen 1921 in einem Krieg von den Sowjets erobert hatte, und be­setzten ganz Ostpolen östlich der Curzon-Linie von 1920. Zur Begrün­dung gab Moskau an, der polnische Staat habe »faktisch aufgehört zu existieren«, deswegen sei der Einmarsch auch keine Verletzung des be­stehenden polnisch-sowjetischen Nichtangriffspaktes, der seit dem 25. Juli 1932 bestand und 1934 sowie 1938 verlängert und bestätigt worden war. Doch praktisch hatte STALIN schon mit dem deutsch-sowjetischen Abkommen vom 23. August 1939 dagegen verstoßen. An dem 17. Sep­tember 1939 verließ die polnische Regierung wegen des abzusehenden Zusammenbruchs der polnischen Verteidigung das Land und begab sich zunächst nach Rumänien.

Nach den bestehenden Verträgen und geheimen Zusatzklauseln war London zwar nicht offiziell verpflichtet, Moskau den Krieg zu erklären, und es unterließ es denn auch. Damit bewies es aber auch, daß es ihm nicht um den Erhalt des polnischen Staates und dessen Unabhängigkeit ging, sondern daß es nur darauf aus gewesen war, Warschau mit den uneinlösbaren Garantien den Rücken gegen Deutschland zu stärken, um mit den jede Verhandlung mit der Reichsregierung ablehnenden und kriegs­bereiten Polen den Anlaß zum Krieg gegen Deutschland zu finden.

Zugleich hielt London sich mit der Unterlassung der Kriegserklärung an STALIN die Tür offen, später mit den Sowjets sich gegen Deutschland zu verbinden, wie es dann offiziell 1941 auch kam, nachdem erste Fühler schon im Herbst 1939 dazu ausgestreckt worden waren.

Hier zeigt sich wieder, wie skrupellos die britische Diplomatie ganze Staaten und Völker einsetzte, um vermeintlich eigene politische Vorteile zu erringen.

aus: Quelle: Der Große Wendig 4, Nr. 777 (Download)

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