Alliierte Fälschung von Akten des Auswärtigen Amtes
Vor, in und nach den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts wurden viele Akten gefälscht, besonders zahlreiche im Zusammenhang mit den Nachkriegsprozessen gegen deutsche Politiker, Militärs und Wirtschaftler.[1] Dabei wurden sowohl falsche Zeugnisse hergestellt als auch Dokumente verändert. Doch auch das bloße Weglassen kann das Bild der Geschichte fälschen.
Auf eine solche Fälschung weist der Bundeswehrgeneral Gerd SCHULTZE-RHONHOF als Beispiel im Vorwort seines Buches zur Kriegsschuldfrage[2] hin. In der Veröffentlichung der Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP), die in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts als amtliche Dokumentation des Auswärtigen Amtes in Bonn erschienen,[3] fiel ihm auf, daß sie »von amerikanischen, englischen und französischen Wissenschaftlern und Archiven herausgegeben worden« sind, also von Vertretern der Siegermächte. Er meint dazu: »Es darf nicht wundern, daß die Akten dabei zugunsten der Sieger ausgewählt und auch >gewaschen< worden sind.«

Gerd SCHULTZE-RHONHOF.
Er greift einen Fall auf: »So fehlt in diesem Nachdruck zum Beispiel die erste offizielle Drohung, wegen Danzig Krieg zu führen. Sie wurde im März 1939 vom polnischen Botschafter in Berlin ausgesprochen, noch ehe HITLER der Wehrmachtsführung den Befehl gab, einen Krieg gegen Polen vorzubereiten. Es gibt jedoch die Veröffentlichung derselben Dokumente aus dem Jahre 1939,4 die diese Drohung noch enthält.«
In dem betreffenden Dokument des deutschen Auswärtigen Amtes über eine — so die Überschrift — »Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen mit dem Polnischen Botschafter, 26. März 1939«, unterzeichnet mit »VON RIBBENTROP«, heißt es an der betreffenden Stelle:[4]
»Nachdem ich (VON RIBBENTROP, R.K.) von dem Inhalt (eines von LIPSKI überreichten Memorandums der polnischen Regierung, R. K.) Kenntnis genommen hatte, erwiderte ich LIPSKI, daß nach meiner persönlichen Auffassung die polnische Stellungnahme keine Basis für eine deutschpolnische Lösung darstellen könne. Die einzig mögliche Lösung des Problems müsse in der Wiedervereinigung Danzigs mit dem Deutschen Reich und der Schaffung einer exterritorialen Auto-und Eisenbahnverbindung zwischen dem Deutschen Reich und Ostpreußen bestehen. Herr LIPSKI entgegnete, er habe die unangenehme Pflicht, darauf hinzuweisen, daß jegliche weitere Verfolgung dieser deutschen Pläne, insbesondere soweit sie eine Rückkehr Danzigs zum Reich beträfen, den Krieg mit Polen bedeute.«

Polen zeigte sich also den gemäßigten und berechtigten deutschen Forderungen gegenüber völlig unzugänglich und drohte mit Krieg. Daß diese frühe Kriegsdrohung den Siegermächten unangenehm war, ist verständlich.
Die alliierten Bearbeiter wollten also ganz offenbar diese erste Kriegsdrohung unterschlagen und in Vergessenheit geraten lassen — eine bezeichnende Manipulation, um eine Entlastung für das Reich zu verbergen: Es sollte die Kenntnis davon unbekannt bleiben, daß Polen schon früh und als erster Beteiligter mit Krieg gegen Deutschland drohte, also der Kriegstreiber war, und sich Deutschland um die Erhaltung des Friedens bemühte.
SCHULTZE-RHONHOF schreibt abschließend zu dem Fall: »So fand ich in den Memoiren und Dokumenten Auslassungen, Überarbeitungen, Fälschungen und pro-domo-Interpretationen.«
Und die nachfolgenden Generationen von Historikern benutzen die alliierte Veröffentlichung von 1956 als eine >Quelle<, die als authentisch gilt, und kommen dann zu einseitigen Ergebnissen. Sie müßten eigentlich erst kritisch alle aus alliierten Bereichen kommenden Dokumente auf ihre Authentizität und Vollständigkeit hin überprüfen.
Rolf Kosiek
[1] Siehe z. B. Beitrag Nr. 140, »Die Schlüsseldokumente und die Kriegsschuldfrage«, Bd. 1, S. 579-586; Nr. 141, »Die Aufzeichnungen des Obersten Hoßbach«, Bd. 1, S. 587-590; Nr. 147, »Die Lügen des Herrn Rauschning«, Bd. 1, S. 607-610.
[2] Gerd SCHULTZE-RHONHOF, 1939. Der Krieg, der viele Väter hatte, Olzog, München 22003, S. 12.
[3] Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, Serie D, Bd. VI, Baden-Baden 1956, Dokument 101.
[4] In: Auswärtiges Amt (Hg.), Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Weißbuch der
Deutschen Regierung Nr. 2, Heymanns, Berlin 1939, Dokument 208; Nachdruck:
Mut-Verlag (Hg.), Geheim. Aus dem Archiv der Reichsregierung Asendorf 1976, S. 133.
[3] Siehe Beitrag Nr. 837, »Der Massenmord von Swinemünde«, Bd. 4, S. 509-513.
Quelle: Der Große Wendig 4, Nr. 860 (Download)