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Teppichbeißer

Legende um Hitler:

Hitler — >der Teppichbeißer<

Umgangssprachlich versteht man unter dem Ausdruck >Teppichbei­ßer< ein krabbelndes Kleinkind. Im abwertenden Sinne wird er von einschlägiger Seite vor allem auf iranische Muslime bezogen. In der Se­kundärliteratur wird dieser im Duden nicht angeführte Ausdruck von einschlägiger Seite in Verbindung mit negativ besetzten Adjektiven auf Adolf HITLER projiziert: der »psychopathische Teppichbeißer« (HaGalil) oder der »impotente Teppichbeißer« (Hamburger Studienbibliothek) beispielsweise. Dem Spiegel zufolge sei HITLER bereits zu Regierungszeiten »in Deutschland gern als >Teppichbeißer< bezeichnet« worden.[1]

Das muß jedoch angesichts mangelnder Beweise bezweifelt werden. Im Dritten Reich war dieser Ausdruck ebenso wie heute alles andere als gängig. Allerdings nehmen einige >Zeitzeugen< für sich in Anspruch, diese abfällige Bezeichnung bereits zu Zeiten der nationalsozialistischen Re­gierungsära gebraucht zu haben. In der Wochenzeitung Die Zeitbehaup­tete ein nicht namentlich genannter ehemaliger »Oberfeldwebel bei der Wehrmacht« im Juli 2005, wenn »der Führer schlechte Nachrichten« bekommen habe, habe »er sich auf den Teppich geschmissen und in den Teppich gebissen. Der hieß bei uns der Teppichbeißer«.[2] Andererseits hieß es in der Zeit drei Jahre später, daß das Teppichbeißer-Gerücht der Phantasie eines namentlich unbekannten Reporters aus dem Jahre 1938 entstamme und entstanden sei, als Adolf HITLER am 22. September 1938 mit Neville CHAIVIBERLAIN im Rheinhotel Dreesen zusammenkam, um kurz vor Abschluß des Münchener Abkommens nochmals die Sudetenkrise zu besprechen. Der Hotelier Fritz Georg DREESEN habe dem Blatt gegenüber 2008 erklärt: »Von einem Journalisten stammt die Anekdote, daß HITLER aus Wut über CHAMBERLAIN in den Teppich gebissen haben soll.«[3]

Oskar KUSCH.

Daß der auf Adolf HITLER gemünzte Ausdruck >Teppichbeißer< tatsächlich einmal im Dritten Reich Anwendung gefunden hat, ist mit dem Schicksal des U-Bootkommandanten Oberleutnant zur See Oskar KUSCH dokumentiert. KUSCH machte, sehr zur Mißgunst der anderen an Bord befindlichen Offiziere, selbst auf Feindfahrt in der Bordgemeinschaft aus seiner Gegnerschaft zur Regierung keinen Hehl. Auch die Unteroffiziere und Mannschaften wußten von KUSCHs regierungsfeindlicher Einstellung: Ein Führerbild im Offiziersraum ließ er entfernen (»Wir betreiben hier keinen Götzendienst«), er erzählte regierungsfeindliche Witze und ließ sich täglich vom Funkmaat feindliche Radiosender einstellen. Es ist nach Aussagen des Schiffarztes NOTHDURFT dokumentiert, daß KUSCH HITLER »einen Verrückten, einen Verbrecher, das größte Unglück, das dem deutschen Volk beschert werden konnte und einen wahnsinnigen Teppichbeißer« genannt hat.[4]

Es steht ferner fest, daß der »Teppich beißende HITLER« ein oft ver­wendetes Motiv der anglo-amerikanischen Kriegspropaganda war. Dies­bezüglich traten nicht zuletzt die Filmstudios in Hollywood hervor. In dem Zeichentrickfilm Scrap Happy Daffy beißt HITLER vor Wut in einen Teppich, weil der Trickfilmheld, die Ente Daffy Duck, einen großen Haufen Altmetall gesammelt hatte.[5] Als im Mai 1941 die >Bismarck<, Deutschlands größtes Schlachtschiff, von englischen Verbänden versenkt worden war, stellten sich die Engländer, wie einer Karikatur des News Chronicle vom 28. Mai 1941, Seite 2, zu entnehmen ist, die Reaktion des Obersten Befehlshabers hierauf recht einfach vor: Er beißt in den Tep­pich.

Cartoon aus der News Chronicle, Nr. 29,658, 28. Mai 1941, S. 2, mit der ironischen Unter­schrift: »Quiet Evening at Home« (Ruhiger Abend zu Hause).

Im März 2010 war eine Kunstausstellung in Leverkusen zu besichti­gen, von der es hieß, daß sie ein angeblich 1943 entstandenes Bild des Expressionisten Georg NETZBAND beinhaltet, das »Adolf Hitler als Tep­pichbeißer in seinem Arbeitszimmer mit der Karte von Stalingrad« zeig­te.[6] Auch in der modernen Kunst findet sich immer wieder das Motiv des >Teppichbeißers< HITLER. Als bezeichnend hierfür ist Heiner MÜLLERS Theaterstück Germanias Tod in Berlin zu nennen, das am 20. April 1978 in München uraufgeführt wurde:

»(Führerbunker. HITLER, erstarrt in einer, seiner Posen. Eine Glocke schlägt Mitternacht. HITLER bewegt sich, gähnt, macht ein paar Schritte, probiert seine Posen, trinkt aus einem Kanister Benzin usw.)

HITLER: Josef! (Goebbels, mit Klumpfuß und riesigen Brüsten, hoch­schwanger.)

GOEBBELS: Mein Führer!

HITLER (beklopft den Bauch des schwangeren Goebbels): Was macht unser Garant. Bewegt er sich? Brav. Trinkst du dein Benzin? (Zieht Goebbels an den Brustwarzen.) Ist das Euter stramm, wie es sich gehört für eine deutsche Mutter? Brav. Nährstand Wehrstand.

GOEBBELS: Wir haben nur noch für drei Tage Benzin.

HITLER: Beeil dich mit der Niederkunft. Wache! (Wache in schwar­zer Uniform mit Eberkopf.)

HITLER (während er den kichernden Goebbels in den Hintern kneift): Das Frühstück! (Wache ab. Ein Soldat. Hitler ißt ihn, den Kopf zuletzt. Niest, spuckt und klaubt sich die Haare aus dem Maul): Ich habe befoh­len, daß meine Männer rasiert werden, bevor ich sie esse. Schweinerei! (Niest und trinkt Benzin.)

GOEBBELS: Ich darf darauf aufmerksam machen, mein Führer, daß der Kreis der Geheimnisträger klein gehalten werden muß. Das deutsche Volk liebt Sie als Vegetarier. Wir haben Schwierigkeiten mit dem Perso­nal, der Friseur kann den Ariernachweis nicht erbringen. Der vorige ist abkommandiert, er rasiert Herrn Stalin. Die Wege der Vorsehung sind wunderbar.

HITLER (brüllt): Arglist! Heimtücke! Verrat! Ich bin von Verrätern umgeben. Sie wollen mich umbringen. Sie legen mir Bomben ins Bett. Sie schütten mir Messer ins Essen. Sie tun Gift in mein Benzin. Ich wer­de sie köpfen. Ich werde sie aufhängen. Ich werde sie vierteilen. (Heult, beißt in den Teppich, immer heulend. Kriecht zu Goebbels, legt den Kopf an seine Brüste, greint.)

GOEBBELS (streichelt und wiegt ihn): Du bist der größte. Du bist stärker als alle. Sie können dir nichts tun. Du wirst sie bestrafen.

HITLER (noch in der gleichen Stellung): Ja. Finger abhacken. Hände. Arme. Beine. Ohren abschneiden. Nase abschneiden. (Kichernd und zap­pelnd.) Pimmel ausreißen.«[7]

Ob angesichts der oben dokumentierten Äußerungen und Unterstel­lungen nicht längst der Strafbestand der Verunglimpfung oder des Ruf­mords erfüllt sein könnte, diese Frage stellt sich freilich nicht, obgleich es unzweifelhaft erwiesen ist, daß HITLER kein unbeherrschter, jähzorniger Mensch war. Dieser Beweis ist durch eine Vielzahl von Menschen, die mit ihm täglich zu tun hatten und ihn als Mensch kannten, erbracht wor­den. Entsprechende Dokumente stellen Berichte und Memoiren der meisten seiner Sekretärinnen, Adjutanten, Leibwächter, Kammerdiener, Telefonisten und Fahrer dar. Ebenso decken sich die meisten Beschrei­bungen von ausländischen Politikern, Wissenschaftlern, Sportlern und Künstlern, die HITLER persönlich begegnet sind, nicht mit dem Propa­gandabild des Cholerikers.[8]

Selbst der ehemalige Chef der Abteilung V des Reichssicherheitshaupt­amtes (Kriminalpolizei), Reichskriminaldirektor Arthur NEBE, der im März 1945 als einer der Rädelsführer im sogenannten Widerstand gegen Adolf HITLER und seine Regierung hingerichtet wurde, hatte nach dem Atten­tat im Bürgerbräukeller am 8. November 1939 bestätigt, was vielen Geg­nern nicht in das von ihnen geschaffene Bild vom hysterischen Teppich­beißer paßt(e). Noch Tage nach dem verheerenden Anschlag war Adolf HITLER zwar innerlich bewegt, aber stets gefaßt: »Dieser Mann ist nicht feige; er will nur nicht ermordet werden. Er mag sich wie ein Raubtier ducken; aber täuscht euch nicht, der hat keine Angst.«[9] Daß Adolf HIT­LER bei schweren Schicksalsschlägen oftmals tief ergriffen war, sich je­doch dabei unter Kontrolle hatte, ist von einer Vielzahl ernst zu neh­mender Historiker, allen voran von Werner MASER, belegt worden. Jüngst erklärte darüber hinaus der an der Universität Münster lehrende Histori­ker Hans-Ulrich THAMER, daß Adolf HITLER »auch in seinen letzten Ta­gen >kein wütender Teppichbeißer< gewesen« war, »sondern ein >sehr ge­schickter, kühl kalkulierender Politiker«<.[10]

Alles in allem ist festzustellen, daß die Darstellung Adolf HITLERS als >Teppichbeißer< entweder aus dem Arsenal der Propaganda stammt oder als fragwürdiger Versuch anzusehen ist, sich nach dem Untergang des Dritten Reiches, also sozusagen im nachhinein, als besonders >antifaschistisch< zu profilieren.

Claus Nordbruch


[1] https://www.google.com/search?q=site%3Aspiegel.de+teppichbeisser&rlz=1C1FHFK_deDE928DE928&sxsrf=AOaemvKBEP9HHBtn1jp8D5WTVgRZ_dGAPQ%3A1636030067187&ei=c9aDYazxCtKz5OUPrryCmAs&oq=site%3Aspiegel.de+teppichbeisser&gs_lcp=Cgdnd3Mtd2l6EANKBAhBGAFQ9tMBWJHsAWC17QFoAXAAeACAAfUCiAHlHpIBBjItMTEuM5gBAKABAcABAQ&sclient=gws-wiz&ved=0ahUKEwjs9vv33v7zAhXSGbkGHS6eALMQ4dUDCA4&uact=5

[2] »Schrittchen«, in: Die Zeit, 5. 7. 2005.

[3] »Wo Hitler in den Teppich biß«, in: Die Zeit, 16. 10. 2008.

[4] Vgl. http://www.deutsche-unterseeboote.de/php/portraits/kusch/u-boot-kusch.php

[5] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=VIlLEcjxv7w

[6] Jan STING, »Kunstwerke gegen den Krieg«, in: Leverkusener Anzeiger, 5. 3. 2010.

[7] »Gnade, mein Führer«< in: Der Spiegel, 17. 4. 1984, S. 264.

[8] Vgl. Ursula SEILER, »Besessen von Wille und Wahn«, in: Zeitenschrift, Heft 46 (2005).

[9] Hans Bernd GISEVIUS, »Arthur Nebes Ermittlungen im Fall Georg Elser«, in: http: / /www.georg-els er-arbeitskreis. de / texts /gisevius.htm

[10] https://rp-online.de/kultur/film/der-untergang-vor-kinostart-in-der-kritik_aid-16829303

Quelle: Der Große Wendig 4, Nr. 757 (Download)

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