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In übler Absicht

Ein mutiger Schriftsteller und sein Kampf in der Schuldkolonie, verdient Erwähnung:

Interview von Uwe Tellkamp
In übler Absicht

In dem Essay „Das Atelier“, der 2020 in der „Exil“-Reihe des Buchhauses Loschwitz erschien, legte Uwe Tellkamp dem verfemten Bildhauer Ernst Barlach die folgenden Sätze in den Mund: „Wanderer im Wind, was ficht’s dich an? Laß irre Hunde heulen. Das sagt sich so leicht.“ Sie nahmen vorweg, was über den Autor anläßlich seines neuen Romans „Der Schlaf in den Uhren“ eben hereinbricht. „So viel Haß, Ekel, Abrechnung, Moral“, titelte der Spiegel und brachte ungewollt die Essenz des als Literaturkritik camouflierten Vernichtungswillens auf den Punkt. Im Tonfall der DDR-Zensurbehörde rügte die Literaturchefin der FAS „den Geist der Reaktion“ im Buch. Und ein Kolonialismushistoriker schlug in übler Absicht einen Bogen vom Interview mit Tellkamp in der Süddeutschen Zeitung zum mörderischen Attentat im amerikanischen Buffalo. Der Kultur-, Medien- und akademische Betrieb gleicht wieder einmal einem geschlossenen Wahnsystem.

Heute treffen Abweichler auf die Tyrannei der gesinnungsfesten Zivilgesellschaft.

Der gebürtige Dresdner Tellkamp sagte der SZ, er wolle „nicht wie Frankfurt werden, ich habe keine Lust auf Frankfurter Zustände“. Solche Aussagen provozieren das Betriebssystem bis aufs Blut, schließlich hat es für jene Zustände die geistige Vorarbeit geleistet. Seine Akteure verwahren sich nun dagegen, als Versager, Opportunisten oder Blinde hingestellt zu werden. 

Es ist kein Zufall, daß die meisten Roman-Verrisse sich an Tellkamps Darstellung des politisch-medialen Komplexes reiben und seinen Kunstgriff, die Bundesrepublik als ein Gebilde zu karikieren, in dem eine Untergrundorganisation staatlicherseits Leben und Meinungen der Bürger manipuliert, in den Bereich der Verschwörungstheorie rücken. Die Zuarbeiter wollen ihr Selbstbild als autonom handelnde Geister retten.

Weil Tellkamp von erlebter Cancel Culture und überklebten Plakaten berichtet, werfen sie ihm vor, sich zum Opfer zu stilisieren. Offen bleibt, ab welchem Punkt sie den Opfer-Begriff für gerechtfertigt halten. Ab der ersten Verlags- oder der vierzigsten Konto-Kündigung? Oder beim abgefackelten Auto? Alexis de Tocqueville schrieb, um jemand die Hölle auf Erden zu bereiten, reiche die alltägliche „Tyrannei der Mehrheit“ völlig aus, das Gefängnis sei dafür nicht nötig. 

Heute treffen Abweichler auf die Tyrannei der gesinnungsfesten Zivilgesellschaft. „Ich verachtete die Gutwetter-Geschmeidigen, Rectum-Puderbüchsen auf zwei Beinen, Charakterbettler, Daseins-Quallen, Harmonie-Harfner, die Feuilleton-Lyriker und Gefälligkeitsschnitzer“, die bei allem, was über den Rahmen ihres Weltbildes hinausragt, „gleich den gereckten Arm sehen“, heißt es im „Atelier“-Essay. Daß diejenigen, die sich angesprochen fühlen, einen Groll gegen Tellkamp hegen, ist nachvollziehbar. Es ist amüsant zu sehen, wie viele es sind.

Ein eigenes Urteil bilden

Unaufgeregt: Filmdoku zum Streit um Uwe Tellkamp

Thorsten Thaler

Wir werden behandelt, als wären wir Verbrecher“, sagt der Schriftsteller Uwe Tellkamp und meint damit sich und die Dresdner Buchhändlerin und Verlegerin Susanne Dagen. Der Satz fällt etwa in der Mitte des 90minütigen Dokumentarfilms „Der Fall Tellkamp – Streit um die Meinungsfreiheit“, der am Mittwoch dieser Woche auf 3sat ausgestrahlt wurde. Der Regisseur Andreas Gräfenstein beleuchtet darin die Geschichte „eines gefeierten Schriftstellers, der wegen seiner öffentlichen Positionierungen in Ungnade fiel“, wie es einleitend heißt.

Gemeint sind Tellkamps differenzierende Ansichten zu der islamkritischen Pegida-Bewegung, vor allem aber seine Äußerungen zur Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015. „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent“, sagte er im März 2018 in einer öffentlichen Diskussion mit dem Lyriker Durs Grünbein über „Meinungsfreiheit in der Demokratie“ im Dresdner Kulturpalast. Bis dahin noch als Autor des großen deutschen Wenderomans „Der Turm“ gefeiert, für den er den Deutschen Buchpreis des Börsenvereins erhalten hatte, gilt Tellkamp spätestens seither gerade in vermeintlich aufgeschlossen-freisinnigen Intellektuellenmilieus als „umstritten“. Zumal er ein halbes Jahr zuvor, im Oktober 2017, die von Susanne Dagen initiierte „Charta 2017“ unterzeichnet hatte. Sie wendete sich mit Blick auf die Drangsalierung rechter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse dagegen, „wie unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz gelebt, wie zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird“.

Tellkamp und Dagen sind zu polarisierenden Figuren geworden. Gräfensteins hingegen unaufgeregte Filmdoku geht der Frage nach, wie es zu diesen verhärteten Fronten kommen und wie es passieren konnte, daß ein einst diskussionsfreudiger Kreis Intellektueller die Streitkultur aufgegeben hat und nun nicht mehr miteinander debattieren kann. In dem Film kommen neben Tellkamp und Dagen unter anderem der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser, der vor Jahren eine Diskussionsreihe im Buchhaus Loschwitz leitete, die Schriftsteller Monika Maron, Ingo Schulze und Jana Hensel, der Theologe und Politiker Frank Richter sowie der Dresdner Theatermacher Heiki Ikkola zu Wort, unter dessen Leitung das Societaetstheater im vorigen Herbst das Stück „Die Buchhändlerin“ auf die Bühne brachte. Erklärte Absicht von Regisseur Gräfenstein war es, daß sich die Zuschauer durch die Gegenüberstellung von Positionen selbst ein Urteil bilden sollen, wie er Anfang der Woche in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk erklärte. Das ist ihm wohltuend gelungen.

Der Film ist in der 3sat-Mediathek abrufbar. Außerdem zeigt das ZDF am 12. Juni um 0.35 Uhr eine 45-Minuten-Fassung.

 www.3sat.de

https://www.3sat.de/kultur/kulturdoku/der-fall-tellkamp-film-100.html

Quelle: JF Ausgabe 21-22 20.05.22 

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