Damit es nicht verloren geht, Informationen aus der Welt. Ein lesenswerter Artikel über Impfnebenwirkungen, ein Interview mit Peter Doshi:
Rätselhafte Todesfälle in Europa
Experten nennen das Phänomen „Übersterblichkeit“: Europa meldet aktuell ungewöhnlich hohe Todeszahlen. Corona kann nicht unmittelbar der Grund für die Sterbewelle sein. Eine Spurensuche in Spanien, Großbritannien – und Deutschland.
Spanien, Portugal, Großbritannien und auch Deutschland – seit April ist die Sterberate in Europa ungewöhnlich stark angestiegen, durchschnittlich um elf Prozent. Besorgniserregend an dieser Sterbewelle ist, dass sie nicht unmittelbar mit der Pandemie zu tun haben kann.
In Spanien machten sich die Experten zuerst auf die Suche nach einer Erklärung. Dort fallen die Todeszahlen besonders drastisch aus dem Rahmen. Spanien hatte im Juli 2022 fast 10.000 mehr Tote registriert als im gleichen Monat 2019. In Deutschland fiel die sprunghaft hochgeschnellte Todesrate zwar deutlich, aber nicht so dramatisch aus.
Mit Corona-Infektionen lassen sich die Toten nur zu einem geringen Teil erklären. Nach der offiziellen spanischen Statistik war bei nur 1872 Todesfällen Covid-19 mit im Spiel. Ein weiteres Fünftel ist nach den Erhebungen des Gesundheitsinstituts Carlos III, das auf die Beobachtung von Hitzefolgeschäden spezialisiert ist, den extremen Temperaturen in diesem Sommer geschuldet.
Die spanische Regierung macht keinen Hehl daraus, dass ihr bislang eine wissenschaftlich begründete Erklärung für die hohen Todeszahlen fehlt. Woran sterben die Menschen? Man stehe vor einem Rätsel, heißt es, eine detaillierte Untersuchung sei angeordnet, erste Ergebnisse werden in etwa sechs Monaten erwartet.
Unter spanischen Experten gibt es jedoch klare Vorstellungen davon, in welche Richtung die Forschungen gehen sollten. Und in welche nicht: „Weder Covid noch Hitzewellen erklären, was hier passiert“, sagt Salvador Peiró, Forschungsleiter der Fundación de Investigación Sanitaria y Biomédica de la Comunidad Valenciana.
Für Peiró sind die Zahlen vor allem deshalb unverständlich, weil er unter den Verstorbenen viele Alte und chronisch Kranke sieht. Also jene gefährdete Gruppe, die in den letzten zwei Jahren der Pandemie zu den Risikopatienten gehört und zuvor schon den größten Anteil unter den Opfern gestellt hatte. Das Irritierende an der neuerlichen Sterbewelle sei, „dass wir glaubten, das Coronavirus habe bereits die Schwächsten erwischt“. Auch an der Impfquote als Grund für die Übersterblichkeit könne es nicht liegen, wie der Vergleich mit anderen Ländern zeige.
In Großbritannien, wo derzeit Woche für Woche bis zu 1000 Menschen mehr sterben als im Durchschnitt früherer Jahre, sind Gesundheitsexperten mit den Gründen für den massenhaften Exitus deutlich weiter. Weltweit gelten britische Experten als führend in der Erhebung und Auswertung von Gesundheitsdaten.
So sorgte ein Anfang August veröffentlichter Bericht der britischen Behörde für nationale Statistik ONS mit dem Titel „Direkte und indirekte gesundheitliche Auswirkungen von Covid-19 in England“ weltweit für Aufsehen. Die Statistiker hatten sich mit der Gesundheitsversorgung während der Pandemie beschäftigt. Im Ergebnis zeigt sich ein fataler Zusammenhang zwischen Lockdowns und Covid-Ansteckungsangst einerseits – und in der Folge ein drastischer Rückgang bei den Diagnosen aller übrigen Krankheitsbilder.
Demnach blieben im Vergleich zu den Zahlen vor der Pandemie bis zu 141.000 Herzerkrankungen, 60.000 Diabetesfälle und 26.000 Schlaganfälle unentdeckt. Im gleichen Zeitraum registrieren die Statistiker eine signifikante Zunahme von Alkoholismus und psychischer Erkrankungen. Damit zeigt sich erstmals seit Pandemiebeginn in Zahlen, dass Lockdowns und Einschränkungen bedeutende Opfer gefordert haben.
Sterbezahlen Ende Juli um 24 Prozent erhöht
Auch in Deutschland ist eine deutliche Übersterblichkeit dokumentiert. Nach einer Hochrechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sind im Juli 85.285 Menschen gestorben. Die Zahl liegt zwölf Prozent oder 9130 Fälle über dem Mittel der Jahre 2018 bis 2021 für diesen Monat, in der Woche vom 18. bis 24. Juli ist die Zahl der Todesfälle sogar um 24 Prozent erhöht. „Um die hohen Sterbezahlen zu deuten, bräuchte man Informationen über die Todesursachen, die bislang auch in Deutschland nicht vorliegen“, sagt Felix zur Nieden, Fachmann für Sterbefalldaten bei Destatis. Seine Vermutung: „Es könnten unerkannte Covid-Fälle sein. Oder Hitzetote, sowie Folgen von aufgeschobenen Operationen oder Vorsorgeuntersuchungen.“
Zur Nieden hat eine weitere Erklärung: Im Frühjahr 2021 und 2022 sei eine auffällige Untersterblichkeit verzeichnet. Das sei damit zu erklären, dass die Pandemie-Maßnahmen nicht nur die so viel wie nie, sondern auch die Grippewellen kleingehalten hätten. „Rechnen wir die Corona-Toten heraus, war die Sterblichkeit im Winter so niedrig wie sonst im Sommer“, sagt zur Nieden. Die Todesfälle könnten sich daher vom Frühjahr in den Sommer verschoben haben.
Bei den Destatis-Zahlen zur Übersterblichkeit handelt es sich um Rohdaten. „Bei diesen liegt es nahe, die Übersterblichkeit zu überschätzen“, sagt Göran Kauermann, Professor an der Uni München. Sein Institut für Statistik arbeitet an einer präziseren Methode zur Bereinigung von Rohdaten: Kauermann schaut sich an, wie groß die Altersgruppen sind und errechnet daraus die erwartbare Gesamtmortalität.
Wegen der geburtenstarken Jahrgänge vor rund 75 Jahren steigen heute analog von Jahr zu Jahr die Sterbezahlen. „Der Jahrgang 1940, also der der heute 82-Jährigen, war besonders geburtenstark. Das wirkt sich jetzt auf die Sterbezahlen aus.“
Doch bei den Analysen nach Altersgruppen gibt es noch eine weitere Auffälligkeit. Es ist der gegenwärtige Anstieg der Sterbefälle bei den ganz Jungen – in der Altersgruppe von null bis 14 Jahren. In Spanien fanden Mediziner eine Erklärung dafür. Es handele sich um nachgeholte Kinderkrankheiten. Bis zum 20. April waren Masken in spanischen Schulen Pflicht. „Als sie wegfielen, kam es zu massiven Ansteckungen und überfüllten Notaufnahmen“, sagt ein Arzt der Kinderabteilung der Klinik von La Paz.
Im Juni meldete Eurostat, die Statistikbehörde der EU, den stärksten Anstieg der Sterblichkeit in den Ländern der Iberischen Halbinsel, Spanien mit 17 Prozent, Portugal mit 24 Prozent. Es sind die Länder, die die härtesten Lockdown-Maßnahmen verhängt hatten, samt rigoroser Ausgangssperre und zwischenzeitlichem Stopp fast aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Nun herrschen in den Notaufnahmen einiger großer spanischer Krankenhäuser erneut Zustände wie in der Dritten Welt: Patienten stehen dicht gedrängt in den Gängen und warten auf einen Arzt.
Im Juni meldete Eurostat, die Statistikbehörde der EU, den stärksten Anstieg der Sterblichkeit in den Ländern der Iberischen Halbinsel, Spanien mit 17 Prozent, Portugal mit 24 Prozent. Es sind die Länder, die die härtesten Lockdown-Maßnahmen verhängt hatten, samt rigoroser Ausgangssperre und zwischenzeitlichem Stopp fast aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Nun herrschen in den Notaufnahmen einiger großer spanischer Krankenhäuser erneut Zustände wie in der Dritten Welt: Patienten stehen dicht gedrängt in den Gängen und warten auf einen Arzt.
Wie sicher sind die Covid-Impfungen?
Der renommierte Pharmazieprofessor Peter Doshi behauptet, Pharmahersteller würden wichtige Daten nicht herausgeben. In einer Neuauswertung ihrer klinischen Studien kommen Doshi und andere Forscher auf eine deutlich erhöhte Zahl von schweren Nebenwirkungen.
Der US-Amerikaner Peter Doshi ist Professor für Pharmazie an der Universität of Maryland und Mitherausgeber des „British Medical Journals“ (BMJ), eines der renommiertesten Wissenschaftsmagazine der Welt. Seit 2009 fordert er Pharmakonzerne immer wieder zu mehr Transparenz auf. Gemeinsam mit anderen Forschern verlangte er etwa die Herausgabe essenzieller Studiendaten zum Influenzamittel Tamiflu, zu Diabetesmedikamenten aus der Gruppe der „Inkretine“, zum Epilepsiemedikament Gabax von Pfizer oder dem Grippemittel Relenza von GlaxoSmithKline. Teils hatte Doshi mit seinem Vorgehen Erfolg: Hersteller Roche etwa legte 2013 fast sämtliche Studiendaten zu Tamiflu offen. Im Blick auf die Corona-Pandemie hat Doshi zusammen mit einer Gruppe von internationalen Forschern schwerwiegende Nebenwirkungen bei Erwachsenen nach der mRNA-Impfung gegen Covid-19 analysiert. Seine Studie ist kürzlich im renommierten Fachmagazin „Vaccine“ erschienen. Mit WELT sprach Doshi über seine Einschätzungen.
WELT: Vor einem Jahr kritisierte das „British Medical Journal“ die Faktenlage bei der Zulassung von Covid-Impfstoffen, die Überschrift lautete: „Entscheidungen ohne Daten“. Jetzt gab die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA die neuen, angepassten Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna frei. Haben Sie Einwände?
Peter Doshi: Die Präparate richten sich gegen das Wuhan-Virus und die Omikron-Variante BA.1 aus dem vergangenen Winter. Diese Variante spielt weder in den USA noch in Europa derzeit eine Rolle.
WELT: Gegen den aktuell vorherrschenden Omikron-Subtyp BA.4/BA.5 gibt es ebenfalls einen fertig entwickelten, angepassten Impfstoff. Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat ihn auch schon zugelassen.
Doshi: Bei einem Meeting mit Pfizer Ende Juni hat sich die FDA anhand der Daten von insgesamt acht Mäusen von der Wirksamkeit des Boosters gegen BA.4/BA.5 überzeugen lassen. Daten von menschlichen Probanden wollte der Hersteller nachreichen.
WELT: Pfizer gibt an, die klinischen Versuche für die BA.4/BA.5-Impfstoffe sollten bald beginnen.
Doshi: Das mag sein, aber die Bestellung von 170 Millionen Impfdosen erfolgte auf Grundlage von Mausdaten. Das zeigt eine dramatische Absenkung der Standards bei der FDA.
WELT: Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat sich nicht angeschlossen. Es gab nur grünes Licht für den Booster gegen BA.1.
Doshi: Auch da steht die Öffentlichkeit vor einer Datenwand. Wir versuchen seit Langem, an die detaillierten, individuellen Teilnehmerdaten der großen mRNA-Zulassungsstudien aus dem Jahr 2020 zu gelangen. Ohne Erfolg. Erst anhand dieser Daten lassen sich Risiken und Nutzen zuverlässig gegeneinander abwägen.
WELT: Wie reagieren die Hersteller auf die Vorwürfe?
Doshi: Pfizer hatte im Studienprotokoll geschrieben, dass man die Daten qualifizierten Wissenschaftlern zwei Jahre nach Abschluss der Studie zugänglich machen würde. Das wäre der Mai 2023 gewesen. Vor kurzem hat Pfizer das Datum jedoch um neun Monate hinausgeschoben. Begründung: Eine einzige von rund 44.000 Personen, die an der Studie teilnehmen, sei erst im April 2022 zum zweiten Mal geimpft worden. Das verzögere nun alles. Auch Moderna hat das ursprünglich erwartete Abschlussdatum vom 27. Oktober auf den 29. Dezember 2022 verlegt. Ich bleibe bei meiner Meinung: Keine Daten, keine Wissenschaft – und auch von „wissenschaftlich geprüft“ kann keine Rede sein. Die Geheimhaltung von Daten ist inakzeptabel. Da steht die Frage im Raum, wie Regierungen solche Produkte empfehlen oder gar anordnen können.
WELT: Im Frühjahr hatten 80 Professoren und Wissenschaftler die FDA aufgerufen, die Rohdaten der großen Covid-Impfstudie von Pfizer/Biontech herauszugeben. Was ist daraus geworden?
Doshi: Die FDA verwies auf die hohe Arbeitsbelastung und bot an, 500 Seiten pro Monat zugänglich zu machen, sodass etwa nach 55 bis 75 Jahren alle Dokumente öffentlich wären. Erst ein Gericht brachte die Behörde dazu, die Dokumente freizugeben. Bisher sind also mehrere Hunderttausend Seiten öffentlich zugänglich. Aber was immer noch fehlt, ist das Entscheidende. Es sind die detaillierten Patientendaten der Studienteilnehmer.
WELT: Was könnten uns die Daten sagen?
Doshi: In unserer Meta-Analyse kommen wir zu dem Ergebnis, dass bei den mRNA-Impfstoffen schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen wie etwa Nierenschäden, die bereits im Vorfeld als „von besonderem Interesse“ eingestuft worden waren, bei einem von 800 Geimpften auftreten können. Dieser Wert liegt deutlich höher als die ein bis zwei Fälle von schwerwiegenden Nebenwirkungen pro Million Geimpfter, die für klassische Impfstoffe akzeptiert werden. Generell traten in der Pfizer/Biontech-Impfstoffgruppe schwere Nebenwirkungen um 36 Prozent häufiger auf als in der Placebogruppe, bei Moderna waren es sechs Prozent. Kombiniert man beide Studien, kommt man auf ein um 16 Prozent erhöhtes Risiko einer schweren Nebenwirkung durch Covid-Impfstoffe. Das ist bedenklich für Menschen, die ein niedriges Risiko für schwere Verläufe haben, etwa Kinder, Jugendliche oder gesunde Erwachsene unter 60 Jahren. Allerdings liefern unsere Werte nur einen Durchschnitt der schweren Nebenwirkungen in allen Altersgruppen, eben weil wir keine detaillierten Patientendaten hatten.
WELT: Beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und auch beim Bundesgesundheitsministerium spricht man von gerade einmal 0,02 Prozent schweren Impfnebenwirkungen. Wie kann es sein, dass Sie nun auf eine fast zehnfach erhöhte Gefahr kommen? Was haben Sie anders gemacht als die Forscher der Zulassungsstudien vor zwei Jahren?
Doshi: Unsere Re-Analyse beruht auf den Daten der klinischen Phase-III-Studie, die Pfizer und Moderna für die Beantragung der Eilzulassung vorgelegt haben. Unsere Auswertung unterscheidet sich von denen der Hersteller und der FDA bei den Kriterien „vollständig geimpft“ und beim Beobachtungszeitraum. Wir beziehen uns nur auf Probanden, die zweimal geimpft wurden und haben die Beobachtungszeit auf mindestens zwei Monate nach der zweiten Dosis erweitert. Die Hersteller haben auch jene Probanden gezählt, die nur eine Dosis erhalten hatten. Damit vergrößert sich die Zahl der Teilnehmer und führt zu einem rechnerisch verminderten Nebenwirkungsrisiko.
WELT: Eine Voraussetzung für die Studien sollte die „doppelblinde“ Durchführung sein. Weder der Teilnehmer noch der Impfarzt sollte wissen, ob in der Spritze das Placebo oder das Präparat aufgezogen ist. Sie halten es für einen bedeutenden Verfahrensfehler, dass ein Großteil der Probanden „entblindet“ worden war.
Doshi: Das hatten die Unternehmen rasch angekündigt. Und die FDA nahm das hin.
WELT: Was passierte dann?
Doshi: Im Studienplan war festgelegt, dass Pfizer etwas über 40.000 Personen, Moderna 30.000 Personen über zwei Jahre beobachten und vergleichen sollten, je zur Hälfte als Impf- oder Placebogruppe. Nach durchschnittlich nur zwei Monaten Beobachtungszeit nach der zweiten Dosis wurde für beide Impfstoffe die Eilzulassung beantragt und gleichzeitig die Studien entblindet, das heißt: Den Teilnehmern der Placebogruppen wurde angeboten, sich impfen zu lassen. Sechs Monate nach Studienbeginn waren dann nur noch sieben Prozent der Studienteilnehmer verblindet. Damit wurden die Impfstoff- und Placebogruppen immer weniger vergleichbar.
WELT: Hunderte von Probanden wurden aus der Pfizer/Biontech-Studie ausgeschlossen. Auch das kritisieren Sie in Ihrer Analyse.
Doshi: Wenn Teilnehmer von einer Studie im Nachhinein ausgeschlossen werden, und wenn das so unausgewogen geschieht wie hier, ist das ein Warnsignal. Es verzerrt das Ergebnis. Insgesamt 371 Personen wurden wegen „wichtiger Protokollabweichungen“ ausgeschlossen und damit nicht in die Bewertung einbezogen: 311 aus der Impfstoffgruppe, 60 aus der Placebogruppe. In diesem Fall hat das zur Folge, dass die Angabe von 95 Prozent Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffes, mit der Pfizer/Biontech warben, aus insgesamt acht Corona-Erkrankten bei den Geimpften errechnet wurde und 162 bei den Placebo-Geimpften, ein Unterschied von 154 Fällen. Demgegenüber wurden bei Moderna nur 36 Personen ausgeschlossen: 12 davon in der Impfgruppe, 24 in der Placebogruppe.
WELT: In Europa haben die Impfstoffe nur eine bedingte Zulassung. Mit diesem Status könnten sie theoretisch Jahrzehnte auf dem Markt bleiben.
Doshi: Auch in den USA gibt es einen Status jenseits der regulären Zulassung, das ist die Notfallzulassung Emer (emergency use authorization). In den Emer muss der Hersteller laut Gesetz ein Merkblatt beifügen, dass es Ihre Entscheidung ist, ob Sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Deshalb dürfte es für ein „Emer“ -Produkt niemals offizielle Vorschriften geben. Aber jetzt gibt es das, in Deutschland etwa mit der Impfpflicht im Gesundheitswesen. Ich bin überrascht, dass diese Regelung Bestand hat, obwohl die Impfstoffe Infektion und Übertragung nicht verhindern.
WELT: Eben jener Schutz vor Übertragung war anfangs angenommen worden. Es war sogar von Herdenimmunität durch massenhafte Impfung die Rede.
Doshi: Diese irrige Vorstellung gab es 2020 und sogar noch 2021. Herdenimmunität erreicht man durch natürliche und verimpfte Immunität. Und zwar mit einem Impfstoff, der Ansteckung und Übertragung verhindert, wie etwa bei den Masern. Die Krankheit gilt in den USA durch die Impfungen fast als ausgerottet. Das hatte man sich auch durch die mRNA-Impfstoffe erhofft. Die Idee von „No Covid“ beruhte darauf, dass die Impfstoffe Infektionen verhindern könnten. Dass das bei den mRNA-Impfstoffen nicht der Fall ist, war sehr früh klar. Der medizinische Vorstand von Moderna, Tal Zaks, hat das bereits im November 2020 ganz offen eingeräumt. Er sagte: „Wir sollten die Wirkungen der Impfstoffe nicht überinterpretieren. Sie können nicht verhindern, dass man das Virus möglicherweise in sich trägt und andere ansteckt.“
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WELT: In den Zulassungsstudien spielt der Schutz vor Ansteckung keine Rolle. Wie konnten derart wichtige Dinge beim Studiendesign übergangen werden?
Doshi: Die Hauptfrage der Studien lautete: Verringert der Impfstoff die Wahrscheinlichkeit einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung? Die Frage lautete nicht: Verringert er das Risiko einer Sars-Cov-2-Infektion? Das hätte man untersuchen können, aber alle Unternehmen entschieden sich, dies nicht zu tun. Für mich ist es überhaupt nicht überraschend, dass wir einen Impfstoff haben, der die Infektion nicht verhindert.
WELT: Warum nicht?
Doshi: Weil wir das auch noch nie bei einem Influenza-Impfstoff gesehen haben. Diese mRNA-Impfstoffe können zwar schwere Krankheiten verhindern. Aber sie erzeugen keine Herdenimmunität, die eine Blockade der Infektion voraussetzt und die der Hauptgrund für viele Menschen war, sich impfen zu lassen. Es ist also überhaupt keine Überraschung, dass es Mitte 2021 zu all diesen Ausbrüchen bei Geimpften kam.
WELT: Vor einem Jahr sagten Sie, die Impfstoffe seien eher ein Versuchsprodukt. Was wissen wir jetzt, nach Milliarden verimpfter Dosen?
Doshi: Die Erkenntnisse aus den weltweiten Impfungen können keine randomisierten Studien ersetzen. Vor allem liefern sie keine Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Impfstoffe. Dazu braucht man Vergleichsgruppen. Das Problem ist, dass es sehr, sehr schwierig ist, herauszufinden, ob die Geimpften und die Ungeimpften tatsächlich vergleichbar sind.
WELT: Mit der zunehmenden Impfquote stieg auch die Zahl der Geimpften auf den Intensivstationen. Wie erfolgreich können die Impfstoffe schwere Verläufe verhindern?
Doshi: Die Daten von Pfizer und Moderna zeigen, dass das Krankenhaus-Risiko verringert ist. Es gab 14 Klinikaufenthalte wegen Covid, was keine große Zahl ist, doch alle Patienten waren aus der Placebogruppe. Aber immer noch ist unklar, wie lange die Impfung wirkt und bei wem. Wir wissen auch nicht, wie stark sich die Virulenz des Virus, also seine krankheitsauslösende Wirkung, inzwischen verändert hat. Oder ob es eine zunehmende Immunflucht des Körpers vor den Impfstoffen gibt. Auch hier versagen die klinischen Daten der Hersteller. Vermutlich tritt gerade beim Nutzen-Schaden-Verhältnis eine drastische Verschiebung ein. Aber ohne ausreichende Daten ist auch das schwer zu beurteilen.
WELT: In Deutschland war es oft schwierig, kritisch über Corona-Impfstoffe zu sprechen. Der Vorwurf lautete oft, man spiele damit Impf- und Demokratiegegnern in die Hände. War das in den USA auch so?
Doshi: Ja. Und es ist ein trauriges Kapitel. Wenn Sie die Zulassungsunterlagen vom Dezember 2020 lesen, dann haben Sie alles schwarz auf weiß: dass wir nicht wissen, wie lange der Schutz anhält. Dass wir nicht wissen, ob die Impfstoffe vor asymptomatischen Infektionen schützen, dass wir nicht wissen, wie wirksam sie in verschiedenen Untergruppen sind. Wir wissen nicht einmal, ob sie die Sterblichkeit verringern. Ich wünsche mir mehr Offenheit in Bezug auf die vielen Wissenslücken. Es sollte klargestellt werden, dass nicht alles perfekt ist. Vor allem sollten wir Wissenschaftler und damit die Öffentlichkeit frei und in der Lage sein, sich selbst ein Bild zu machen über das Für und Wider, den Nutzen und die Risiken.