Kategorien
Deutschland Geschichte

Schleimspurkarrieren

Vor ca. 12 Jahren in der FAS, heute undenkbar. Die Qualitätsmedien sind gleichgeschaltet auf dem niedrigen Niveau des RND.

„Ich sage nur nicht „früher war alles besser“, weil man dann so alt wirkt.

Der Fall Sarrazin

Körperzellenrock

Was Thilo Sarrazin gesagt hat, ist also nicht „auszuhalten“, seine Beschreibung der Welt „unerträglich“? Das meinen jedenfalls die intellektuellen Lobbyisten und kriegen sich kaum noch ein vor bebender Empörung. Dabei zeigt ihr Meinungskrieg in Schleimsprache nur eins: Wie unreif das deutsche Verhältnis zur Freiheit ist.

Von Volker Zastrow
Körperzellenrock: Quelle www

Auf dem vergilbten Foto steht ein hagerer alter Mann vor mageren Kühen, er stützt sich auf einen Knotenstock, seine Kleidung ist ärmlich. Er hütet auf irgendeinem Gut im Osten das Hungervieh der Tagelöhner, zu denen er selbst gehört hatte, im Grunde ein Sklavenstand. Einer seiner Söhne schaffte es, Handwerker zu werden, seine Enkel dann Meister oder Beamte, die Urenkel sind Ärzte, Intellektuelle und Wissenschaftler, und soweit es mich betrifft, ist dieser hagere Mann mit den klugen, heiteren Augen im knochigen Gesicht unter der Landarbeitermütze einer meiner Urgroßväter. Ich bezweifle, dass er genetische Defizite hatte, aber andere als er bestimmten über sein Leben, das für ihn vorsah, scheißenden Kühen hinterherzulaufen.

War einst ein Beruf in Deutschland: Kuhhirte

Das nur, um zu beanspruchen, dass ich sehr wohl „ertragen“ kann, was Sarrazin sagt: seine schroffste, schrecklichste These ist ja, dass eine sozial durchlässige Gesellschaft eine genetisch benachteiligte Kohorte geradezu automatisch am unteren Rand chancenlos isoliert – nicht weil die Chancen fehlen, sondern die Begabungs-Chancen, sie zu nutzen. Dass es also Personen gibt, die einfach nicht Ingenieure oder auch nur Mechatroniker werden können, egal wie viel Geld oder Gutscheine man ihnen zukommen lässt. Und weiter: dass diese Unbegabteren sich stärker fortpflanzen und obendrein unter muslimischen Einwanderern klar überrepräsentiert sind.

Warum soll „unerträglich“ sein, dass einer die Welt so beschreibt? Weil sie nicht so ist? Oder weil man er nicht aushält, dass sie so ist? Oder weil sie nicht so sein darf? Warum kann man nicht „ertragen“, dass jemand historische Sachverhalte wie den Zeitpunkt der polnischen Mobilmachung 1939 benennt? Weil daraus falsche Schlüsse gezogen werden könnten? Welche denn? Wer zog sie? Und darf man keine falschen Schlüsse ziehen? Wer zieht sie nicht?

Zu viele Nacktschnecken machen auf der eigenen Schleimspur Karriere

„Ertragen“ ist eines dieser Stichworte, das auch auf Steinbach und andere gemünzt wird in diesen Tagen – von intellektuellen Lobbyisten, die totale Meinungskriege führen. Es sind Wortkriege in Schleimsprache: Man kann nicht „ertragen“, dass einer was sagt oder mit am Tisch sitzt, es ist „nicht hilfreich“, wenn einer ein Buch schreibt. Nicht hilfreich, nicht zu ertragen, so lauten soziale Todesurteile unter den Nacktschnecken, die auf der eigenen Schleimspur Karriere machen, nach oben, ganz oben.

Wie wunderbar schneckisch diese Erklärung des Merkel- Sprechers, es ist gut, einvernehmliche Regelung, endlich in Ruhe, wichtigen Aufgaben. Der Bundespräsident höchstselbst presst einen Bundesbankvorstand aus dem Amt, Rechtsgrundlagen: nicht nötig, zum Schluss wird geschmiert. Es ist nur noch widerlich, würdelos, pflichtvergessen.

Im Milieu der Schnecken sind Säure und Seife nicht artgerecht, was ätzt oder klärt, wirkt schleimlösend. Aber wie immer ist es zu einfach, alles auf die Politik zu schieben. Deutschland hat kein Verhältnis zur Freiheit. Es straft Meinungen mit Berufsverboten, mit der öffentlichen Todesstrafe, dem Ruf-Mord. Schon vor Jahrzehnten, am Bundestagspräsidenten Jenninger, wurde demonstriert, dass nicht zählt, was einer gemeint hat, sondern ob man es ihm erfolgreich verdrehen kann, gern bis ins Gegenteil über allen Anstand hinaus. Dazu passt, dass nahezu jeder, bis ins Privateste, mit der Überzeugung durch die Gegend zu kriechen scheint, seine Gefühle seien Heiliges, das niemals verletzt werden dürfe – der heilige Schleim. Wir lieben es nicht, das offene Wort, die Freimut, die Ehrlichkeit. Nicht privat, und öffentlich erst recht nicht. Da gilt Null Toleranz. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber bitte ph-neutral.

An die Stelle von Autoritäten ist Konformitätsdruck getreten

Wie kommt das eigentlich? Die Gesellschaft ist froh, jede ihrer Körperzellen ist glücklich, sie scheint toleranter als je, jedenfalls gegen Verletzungen der Scham, übles Benehmen, Rücksichtslosigkeiten aller Art, aggressive Egonauten, offensiven Sex, Verrohen und Verderben der Kinder – aber wenn einer mal nicht „ficken“ sagt, sondern „Kopftuchmädchen“, will man ihn am liebsten vom Antlitz der Erde tilgen. Es gibt, seit der Kulturrevolution der Sechziger, keine legitimationsfreien Autoritäten mehr. Gut. An deren Stelle ist aber Konformitätsdruck getreten. Dem liegt ein Bedürfnis zugrunde: Gedanken-Sharing. Der Druck bleibt die Ausnahme, ihn fühlt nur, wer Unliebsames ahnt oder gar ausspricht, die Sarrazins, die Gehetzten, die sich die Hetzmeute als Hetzer vorstellt. Wobei ein wachsender Teil der Gesellschaft ins Schweigen oder Grummeln driftet, Nichtwähler und Nichtschnecken, Stumpfe und Stolze. Bei der Meinungsfreiheit geht es nicht um Abstraktes. Sondern um Macht. Darum, wer anderen das Maul verbieten kann – schon klar, nicht verbieten, nur verdreschen – und wer es verboten, verdroschen kriegt. Diese Macht haben und nutzen die Lobbyisten und Meinungszüchtiger, die Mönchskrieger der öffentlichen Sprach- und Denkwirtschaft. Und natürlich die Nacktschnecken in ihrer weltanschaulich gefestigten Neutralität. Sie wirken, laut Artikel 21 GG, an der politischen Willensbildung des Volkes mit.

Wenn die Wortführer 2 sagen, dann sind die meisten für 2.

Text: F.A.S.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert