„Die Heilige Inquisition und Ketzerverfolgung“
Die Heilige Inquisition steht heutzutage schon fast sprichwörtlich für eine grausame Institution, die Menschen wegen ihrer anderen Denkart mit den abartigsten Folterinstrumenten sadistisch quälen und bei lebendigem Leib verbrennen ließ. So ganz stimmig ist dieses einseitige Bild nicht, jedenfalls wenn man sich anschaut, was im rechtlichen Bereich möglich war, bevor die Inquisitionsbehörde durch den Papst eingeführt wurde: Jeder Mann und jede Frau konnten einen unliebsamen Nachbarn, Schwager, Onkel oder völlig Unbekannten anschwärzen. Dazu reichten zwei Zeugenaussagen, und der Beschuldigte bzw. Verleumdete musste nun den Beweis seiner Unschuld erbringen, wohlgemerkt, nicht die anderen den Erweis seiner Schuld, sondern der Beklagte den seiner Unschuld. Es reichte eine Anzeige, eine Denunzierung, um einen Menschen vor den Richter zu bringen. Konnte er dort seine Unschuld nicht beweisen, dann blühte ihm ein willkürlich gefälltes Urteil — im schlimmsten Fall die Todesstrafe.
Zeugenaussagen!
Mit der Einführung der Inquisition wollte man diesem Treiben endlich Einhalt gebieten. Die Inquisition setzte zum ersten Mal in der europäischen Rechtsgeschichte das Prinzip durch, dass es eine behördliche Untersuchung zu geben habe, Zeugen und Angeklagte angehört und penibel darüber schriftliche Aufzeichnungen geführt werden mussten. Es ist für manche Zeitgenossen kaum zu glauben, aber tatsächlich bedeutete dies damals einen riesigen Schritt in Richtung modernes Rechtswesen und ordnungsgemäße Gerichtsverfahren. Juristen ist dieser Umstand durchaus bekannt, die Inquisition findet auch Erwähnung in universitären Lehrbüchern zur Rechtsgeschichte.
Schriftliche Dokumentation
Was die „Ketzer“ betrifft, wie Katharer, Albigenser und Waldenser und ihre Lehren, die heutzutage in esoterischen Kreisen verklärt und glorifiziert werden als die „besseren“ und die „echten Christen-. so lohnt ein Blick auf deren unmenschliche und gegen jede zivile Gesellschaftsordnung gerichteten Lehren.
Weltliche Herrscher ordneten Ketzerverbrennung an
Tatsächlich waren sie es, die „leibfeindlich“ waren, und nicht die katholische Kirche. Als Gnostiker hielten sie die Schöpfung für böse, den Leib für schmutzig und darum abzutöten, ein nutzloses Gefäß der unsterblichen Seele. Sie erkannten weder die Ehe noch die Familie noch das Privat-eigentum an, ebenso wenig wie Strafrecht, Justiz oder Eideswesen. Darum war es auch nicht die Kirche, die zuerst gegen die Ketzer losschlug, sondern folgerichtig die weltlichen Autoritäten, die sich von dieser breiten Bewegung, die alles in Frage stellte, was sie vertraten, verhöhnt und bedroht fühlten. Seit Kaiser Justinian galt Ketzerei im Heiligen Römischen Reich als Majestätsbeleidigung, über die die Todesstrafe verhängt wurde. Die drastischsten Maßnahmen gegen Ketzer ordnete denn auch bereits im Jahre 1232 ein weltlicher Herrscher, Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen an: Ketzer sollten verbrannt und enteignet werden, hierfür genügte die Anschuldigung durch einen Dritten. Dem gegenüber stellte die Einführung der Inquisition durch Papst Gregor IX. eine deutliche Verbesserung der Lage dar. Er hielt ausdrücklich fest: Zweck der Inquisition sei die Bekämpfung der Häresie durch Rückführung der Ketzer in die heilige Mutter Kirche, nicht deren Ermordung, auch, um sie nicht zu Märtyrern zu stilisieren.
Rückführung der Ketzer in die Kirche
Ungeachtet dessen aber steht fest, dass die Kirche aus den dunklen Seiten ihrer Vergangenheit gelernt hat. Darum steht der Wert des menschlichen Lebens als höchster Wert im Zentrum der kirchlichen Lehre, darum spricht sie sich heute gegen Todesstrafe aus und darum setzt sie sich auch unverdrossen und entschieden für das Lebensrecht ungeborener Kinder ein. Dabei können Zwang und Gewalt keine Mittel sein, um Menschen Gott nahe zu bringen oder sie von der Rechtmäßigkeit der kirchlichen Lehre zu überzeugen. Glaubhaft ist die Kirche heute nur, wenn sie unaufhörlich verkündigt, Zeugnis von der frohen Botschaft des Evangeliums ablegt und ohne Berührungsängste die argumentative Auseinandersetzung mit Andersdenkenden sucht.
Allerdings sollte man auch hier nicht vergessen, daß die so genannte „Heilige Inquisition“ nicht primär aus Freude am Quälen und Blutvergiessen, sondern in den meisten Fällen primär aus Sorge um das damals höchste Gut der Menschen, den „reinen und authentischen Glauben“ handelte.