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Gegenaufklärung

Der schädliche Sog der Gegenaufklärung

Alexander Ulfig und Harald Schulze-Eisentraut verurteilen eine fatale Politisierung der Wissenschaft an Deutschlands Universitäten

In dem von dem Archäologen Harald Schulze-Eisentraut und dem Philosophen Alexander Ulfig herausgegebenen Sammelband nehmen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zu der immer mehr um sich greifenden Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit Stellung. Diese äußert sich darin, daß Wissenschaftler, die kritische, nicht der Mehrheitsmeinung entsprechende oder als „politisch unkorrekt“ angesehene Thesen und Theorien vertreten, systematisch ausgegrenzt und ignoriert oder sogar persönlich angefeindet und tätlich angegriffen werden. Kollegen, die ein solches Schicksal vermeiden wollen, üben sich im vorauseilenden Gehorsam und gehen potentiell „gefährlichen“ Themen aus dem Weg. Eine vorurteilsfreie und offene Diskussion ist deshalb nur noch eingeschränkt möglich, wodurch in der Folge der Erkenntnisgewinn beeinträchtigt und der wissenschaftliche Fortschritt behindert wird. Denn die Wissenschaft ist ein ergebnisoffener Prozeß; sie „funktioniert“ nur, wenn ständig neue Hypothesen formuliert, überprüft und dann entweder verworfen oder (vorläufig) akzeptiert werden. Entscheidend ist mithin eine freie, offene und kritische Diskussion, bei der es keine Tabus und keine von der Kritik ausgenommenen Positionen geben darf.#

Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist dies heute in Deutschland, aber auch in vielen anderen westlichen Ländern, nicht mehr der Fall. In den Sog dieser „Gegenaufklärung“ geraten allerdings auch zunehmend die Naturwissenschaften, insbesondere wenn es um politisch aufgeladene Themen wie die Rolle des biologischen Geschlechts, die Bekämpfung von Pandemien oder die Ursachen des Klimawandels geht. Diese Entwicklung beleuchten die Autoren des vorliegenden Sammelbandes auf verschiedenen Ebenen.

Auf die Gefahren für die Wissenschaft und den Wissensfortschritt macht aus wissenschaftstheoretischer Sicht Alexander Ulfig aufmerksam. Er betont den engen Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Wissenschaftsfreiheit und warnt vor der zunehmenden „Vermachtung“ der Wissenschaft im Gefolge eines Konstruktivismus à la Foucault. 
Weniger die Qualifikation als die Quote steht im Vordergrund
Über die persönlichen Erfahrungen mit der „Cancel Culture“ und der Politisierung des aka-demischen Betriebs an deutschen und österreichischen Hochschulen berichten Martin Wagener und Josef Christian Aigner. Letzterer kritisiert vor allem, daß bei der Besetzung universitärer Positionen heute weniger die Qualifikation als die Erfüllung bestimmter Quoten im Vordergrund stünde – was nicht ohne Auswirkungen auf die Qualität von Forschung und Lehre bleiben könne.
Welche gravierenden Konsequenzen die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit aber auch für Nichtwissenschaftler hat, machen Michael Esfeld und Fritz Vahrenholt (Seite 31) in ihren Beiträgen zur Corona-Politik bzw. zur Klimapolitik deutlich. Mit einer politisch gelenkten Wissenschaft wurden in der Corona-Krise fragwürdige Maßnahmen gerechtfertigt, die nicht nur weitgehend nutzlos waren, sondern auch zu extrem hohen Kosten und in der Geschichte der Bundesrepublik nie dagewesenen Freiheitseinschränkungen geführt haben. Ähnliches gilt für die Klimapolitik: Die einseitige Interpretation von Daten und die Ausblendung kritischer Stimmen hat letztlich eine Klima- und Energiepolitik zur Folge, deren Notwendigkeit und Nutzen mehr als fragwürdig ist und die zu erheblichen Wohlstands- und Arbeitsplatzverlusten, aber auch zu beträchtlichen Freiheitseinbußen führen wird.

Die im Zuge der Corona-Krise zeitweise erfolgten und im Lauf der sogenannten „Klimakrise“ auf Dauer drohenden Freiheitseinschränkungen sind nur die Vorboten einer beängstigenden Entwicklung, die eine Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie darstellt.


Vor dieser Gefahr warnt Michael Esfeld eindringlich: „Wir dürfen uns nicht von Wissenschaftlern blenden lassen, die von der Idee besessen sind, sie hätten ein Wissen zur Steuerung der Gesellschaft. Und wir dürfen uns nicht von Politikern verführen lassen, die aus durchsichtigen Machtinteressen dieses angebliche Wissen aufgreifen. Beide zerstören sowohl die Wissenschaft als auch den Rechtsstaat.“
Auf diesem Weg sind wir nach Ansicht von Hartmut Krauss schon ein gutes Stück fortgeschritten. Er konstatiert eine „schon länger feststellbare postdemokratische Deformation des politischen Erörterungs-, Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses“. Dazu würden notwendigerweise auch die Politisierung der Wissenschaft und die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit gehören.
In einen weiten ideengeschichtlichen Zusammenhang stellt Ronald G. Asch diese Entwicklung. Er sieht darin eine der Konsequenzen des Angriffs auf die zivilisatorischen Errungenschaften des Westens. Unter Parolen wie „Dekolonialisierung“ würden die Fundamente unserer Freiheit, unseres Erkenntnisfortschritts und auch unseres materiellen Wohlstands untergraben. Für die Wissenschaft besonders gefährlich sei es, daß selbst Wahrheitsbegriff und Methodik der Wissenschaft als Symptome eines zu überwindenden Eurozentrismus in Frage gestellt würden.

Auch die übrigen, hier nicht ausdrücklich genannten Beiträge sind lesenswert und auf-schlußreich. Gleiches gilt für die in die Problemstellung einführende Einleitung der Herausgeber und die beiden Interviews mit der Politologin Ulrike Ackermann und dem Biologen Axel Meyer – obwohl dieselben in einer Aufsatzsammlung fehl am Platz sind.

Den Autoren dieses Sammelbands gelingt es, dem Leser überdeutlich klarzumachen, daß die von ihnen beklagte gegenaufklärerische Entwicklung gravierende Konsequenzen nicht nur für die Wissenschaft und die direkt betroffenen Wissenschaftler hat, sondern für uns alle. Niemand sollte seine Augen vor den Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit verschließen, und jeder sollte seine Stimme dagegen erheben – aus Respekt vor der Wissenschaft, aber auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse.

  • Prof. Dr. Fritz Söllner lehrt Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Ilmenau
  • Alexander Ulfig, Harald Schulze-Eisentraut: Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Wie die Cancel Culture den Fortschritt bedroht und was wir alle für eine freie Debattenkultur tun können. FinanzBuch Verlag, München 2022, gebunden, 272 Seiten, 25 Euro

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