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Katastrophe auf Raten

Kommt eine neue Eiszeit? Nicht gleich, aber der verregnete Sommer in Nordeuropa, so befürchten die Klimaforscher, war nur ein Teil eines weltweiten Wetterumschwungs — ein Vorgeschmack auf kühlere und nassere Zeiten.

Deutschlands Urlauber packten die Koffer — und der Himmel öffnete seine Schleusen: Unter Blitz und Donner, Hagelschlag und Wolkenbrüchen setzte sich der große Ferien-Treck in Bewegung.

In kurzen Hosen, den Strohhut auf dem Kopf — so stiegen noch am 20. Juni, dem Auftakt zu den großen Schulferien, Familienväter aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz hinters Steuer. Auf der Autobahn, schon umtost von Sturmböen, vernahmen sie aus dem Radio den Wetterbericht: »Wechselnd »bewölkt, einzelne Schauer, Temperaturen bis zu vier Grad unter den sommerlichen Mittelwerten.«

Von da an ging“s bergab. Eine Woche später — Ferienanfang in Hessen und Schleswig-Holstein — »wandert«, so der Deutsche Wetterdienst, »eine Kaltluftfront von Norden nach Süden über Deutschland“: Aprilwetter mitten im Sommer, schien es, überzog die ganze Republik. In Essen prasselten an einem Tag 51 Liter Regen auf jeden Quadratmeter nieder.

Aprilwetter mitten im Sommer

Als, wieder eine Woche später, in West-Berlin, Bremen und Niedersachsen der Urlauber-Exodus begann, herrschte zwischen München und Hamburg Herbstkälte. Am 11. Juli schließlich, dem Ferienbeginn in Baden-Württemberg, geriet das Wetter vollends aus den Fugen. Die rasch aufeinanderfolgenden Schauer-Staffeln, Gewitterfronten und Sturmtiefs entglitten kurzfristig sogar der Kontrolle der Meteorologen. »Wir konnten«, so bekannte Dr. Elisabeth Kleissen vom Hamburger Seewetteramt, »nicht einmal für einen Zeitraum von 24 Stunden genaue Prognosen liefern« — »seit Jahren«, so erläuterte die Expertin, habe es über Deutschland keinen »so unangenehmen, unbeständigen Wettertyp« gegeben.

Kürzer umschrieb, im Namen der Urlauber, die Münchner »Abendzeitung« die Lage — »Sauwetter, mistig’s«. Und »Bild« sorgte sich: »Geht etwa der ganze Sommer kaputt?«

Er ist, kein Zweifel, kaum mehr zu retten. In Hamburg etwa gab es auch im Juli nur drei Tage ohne Regen, und nur an einem einzigen Tag stieg die Temperatur auf 25 Grad — »der Sommer«, witzelte die »Welt«, »fand an einem Montag statt«.

Zwar schien es Ende Juli, zumindest in Süddeutschland, unverhofft doch noch Sommer zu werden. Aber schon das erste Augustwochenende brachte neue Wetter-Unbilden: Bei tropischer Hitze gingen in Bayern und Westdeutschland Sturzfluten nieder; nahe Frankfurt staute sich auf der Autobahn das Wasser 40 Zentimeter hoch, ein Gewittersturm über Berlin entwurzelte Bäume, deckte Dächer ab, überschwemmte Keller und Tiefgaragen.

Sturzfluten in Bayern

Hotels, Gaststätten, Ausflugslokale, Campinigplatzwärter und Strandkorb-Vermieter meldeten derweil beängstigend flauen Geschäftsgang — trotz mitunter verzweifelter Versuche, die Wetter-Krise zu meistern: So ließ die Direktion des Hotels »Maritim« in Timmendorfer Strand Seesand in einen Kellerraum karren; dort bauen die Ferienkinder Strandburgen.

»Ein schlechteres Geschäft als im tiefsten Winter« beklagte auch die Coca-Vertretung in Hamburg, ebenso notierten Brauereien und Speiseeishersteller dramatisch sinkende Umsätze. Und ins Schwimmen geriet im feuchten Sommer 1974 auch Europas größter Swimming-pool-Produzent; die Otto Kleyer KG in Minden mußte letzte Woche Vergleich anmelden.

»Ganz hervorragend«, so Horst Laudien vom Reisebüro »Scharnow“« entwickelte sich unterdessen das Fluggeschäft: »Die Leute haben vom Regen die Nase voll« — sie flüchten nach Süden. »Die extremen Wettersituationen«, erläuterte »Touropa« -Sprecher Heinz Göckeritz, hätten in den letzten Jahren zugenommen. Alles in allem sei »halt das Wetter auch nicht mehr das, was es einmal war Eisberge wandern weiter südwärts.

Zu diesem Allerweltsurteil sind die professionellen Wetterbeobachter schon längst gekommen. Spätestens seit 1960 wächst bei den Meteorologen und Klimaforschern die Überzeugung, daß etwas faul ist im umfassenden System des Weltwetters: Das irdische Klima, glauben sie, sei im Begriff umzuschlagen — Symptome dafür entdeckten die Experten nicht nur in Europa, sondern inzwischen in fast allen Weltregionen. Am Anfang standen Meßdaten über eine fortschreitende Abkühlung des Nordatlantiks. Dort sank während der letzten 20 Jahre die Meerestemperatur von zwölf Grad Celsius im Jahresdurchschnitt auf 11,5 Grad. Seither wanderten die Eisberge weiter südwärts und wurden, etwa im Winter 1972/73, schon auf der Höhe von Lissabon gesichtet, mehr als 400 Kilometer weiter südlich als in den Wintern zuvor.

Gletscherwachstum

Zugleich wuchs auf der nördlichen Halbkugel die mit Gletschern und Packeis bedeckte Fläche um rund zwölf Prozent, am Polarkreis wurden die kältesten Wintertemperaturen seit 200 Jahren gemessen. In Großbritannien und Island wurden die Folgen des Kälte-Trends bereits spürbar. Auf Island ging die Heuernte um 25 Prozent zurück, auf der Britischen Insel schrumpfte die jährliche Wachstumsperiode der Pflanzen um etwa zwei Wochen.

Die sich in den letzten Jahren häufenden Meldungen über Naturkatastrophen und extreme Wetteränderungen in aller Welt glichen anfangs eher den Bruchstücken eines Puzzle-Spiels: Ein Orkan, der heftigste seit einem Jahrhundert, verwüstete im November 1972 weite Teile Niedersachsens. Im selben Jahr richtete im Osten der USA der Hurrikan »Agnes« für mehr als drei Milliarden Dollar Schäden an; 122 Menschen kamen ums Leben. Es war das folgenschwerste Unwetter, das jemals in Nordamerika registriert worden war.

Ein Schneesturm ruinierte im August 1973 große Getreideanbaugebiete im Weizengürtel Kanadas. Und im November und Dezember letzten Jahres brandeten innerhalb von fünf Wochen sechs schwere Sturmfluten gegen die norddeutschen Küsten — die dichteste Sturmflut-Folge seit rund 50 Jahren.

Schneesturm

Weit dramatischer kündigte sich unterdes der globale Klima-Umschwung in Südostasien, Afrika oder auf dem südamerikanischen Kontinent an. Sintflutartige Regenfälle überschwemmten in jüngster Zeit immer öfter Teile Japans oder Perus. In Argentinien, in Indien und Südafrika sanken im letzten Winter die Temperaturen auf Werte. wie sie seit Beginn der wissenschaftlichen Wetterbeobachtung vor etwa 300 Jahren noch nie registriert wurden.

Ungewöhnlich ergiebige Regengüsse — und im Winter Schneeschauer — gingen auch im Nahen Osten nieder, etwa im Libanon, in der Türkei und in Israel, aber auch in Italien und in manchen Regionen der USA: In San Francisco beispielsweise wurden in diesem Sommer schon die stärksten Niederschläge seit 125 Jahren gemessen.

Und während im Osten Afrikas und im Norden der USA die Wasserspiegel der großen Binnenseen stetig steigen, herrscht in den Ländern südlich der Sahara seit nunmehr sieben Jahren Dürre.

Änderungen im Magnetfeld der Erde.

Dort, in der sogenannten Sahelzone, verdorrte die Vegetation, sind die Brunnen versiegt, die Viehherden zugrunde gegangen und Millionen Einwohner vom Hungertod bedroht.

Mißernten, Hungersnot und Wassermangel gab es seit Ende der sechziger Jahre auch immer häufiger in anderen Regionen der Subtropen, in Mexiko, auf den Kapverdischen Inseln im Atlantik sowie im Norden Indiens und Pakistans, wo der Monsunregen neuerdings spärlicher fällt.

Doch außer derart spektakulären Sprüngen im irdischen Normal-Klima entdeckten die Meteorologen auch noch eine Reihe eher subtiler Vorzeichen für eine drohende globale Wetterwende.

Quelle: https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/rekorde/magnetfeld-erde-verliert-an-staerke/

So ermittelten sie in den letzten Jahren, <daß die Intensität der Sonneneinstrahlung in der Erdatmosphäre geringfügig nachgelassen hat; > daß die Luftdruckverhältnisse auf dem Erdhall sich verändert haben — so stieg im Jahresmittel der Druck über der Arktis, während er in den gemäßigten Breiten sank; > und daß sich auch im Magnetfeld der Erde Veränderungen abzeichnen — ein Hinweis auf die bislang weitgehend unerforschten physikalischen Vorgänge tief im Inneren des Planeten.

Nach Studium des beunruhigenden Datenmosaiks halten es viele Klimaforscher für wahrscheinlich, daß der Erde eine neue Großwetter-Ära bevorsteht, daß der Trend, der den Erdbewohnern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die — klimatisch — besten Jahre seit langem bescherte, sich nun umkehrt.

In der Zeit zwischen 1890 und 1945 hatten die Wissenschaftler eine allgemeine Erwärmung des Erdklimas registriert. Die globale jährliche Durchschnittstemperatur stieg in diesem Zeitraum um etwa 0,7 Grad — in Polnähe wurde es sogar um mehrere Celsiusgrade wärmer.

Dieser scheinbar nur geringfügige Temperaturzuwachs reichte aus, um die Eisfelder, die etwa sechs Prozent der Erdoberfläche zudecken, merklich zu verkleinern: Das Eis an der nördlichen Polkappe nahm um zehn Prozent an Ausdehnung und um 30 Prozent an Dicke ab. in den Hochgebirgen aller Kontinente zogen sich die Gletscher zurück, die Eisberge verharrten auch im Winter weiter nördlich als früher. Die Gesamtfläche fruchtbaren Ackerlands auf der Erde nahm in diesen Jahren beständig zu.

In Westeuropa trug das Wetter zunehmend Merkmale des Kontinental-Klimas. Warme Sommer mit langen Hochdruckperioden und kalte, klare Winter prägten noch den Verlauf des Zweiten Weltkriegs: Hitlers Überfälle auf Polen, Frankreich und die Sowjet-Union fanden bei meist strahlendem Wetter statt, während extreme Winterkälte in Rußland den Krieg zeitweilig einfror.

Doch Mitte der vierziger Jahre, mit der Atombombe (doch sicher nicht wegen ihr) kehrte sich die Entwicklung um. Und je deutlicher sich in der Folgezeit eine Großwetter-Wende abzeichnete, desto häufiger tauchte in den Fachblättern der Meteorologen die Frage auf, ob nicht womöglich in na-her Zukunft eine neue Eiszeit heraufziehe.

Anlaß zu derart beklemmenden Mutmaßungen gaben nicht so sehr die Prognosen aus der meteorologischen Alltagspraxis. Obwohl die Wetterbeobachter inzwischen weltweit über etwa 15 000 bodenständige oder schwimmende Kontrollstationen und dazu über ein halbes Dutzend erdumkreisender Wetter-Satelliten verfügen, sind die sogenannten Kurzfristler unter den Wetterforschern bis heute kaum imstande, auch nur das Wetter von übermorgen halbwegs exakt vorauszusagen.

Vor 800 Jahren Weinanbau in England.

Was die Temperaturwerte und Niederschlagsangaben der Wetterwächter vielmehr in düsterem Licht erscheinen ließ, waren vor allem die Forschungsergebnisse jener Wissenschaftler, die den Gang der irdischen Klimageschichte ergründeten.

Sie haben in den letzten Jahrzehnten mit Hilfe wissenschaftlicher Detektiv-Methoden das Auf und Ab im Weltklima der Vergangenheit rekonstruiert. Sie untersuchten mit radioaktiven Meßmethoden die Veränderungen der Grönlandgletscher, sie analysierten Fossilien, Gesteinssedimente und die Jahresringe und schrieben danach die Klimageschichte des Planeten. Danach

* wechselten in den letzten 700 000 Jahren große Eiszeiten fast regelmäßig mit milderen Klimaintervallen;

* sind auch während der jüngsten 10 000 Jahre, der Zeitspanne seit dem Ende der letzten Eiszeit, markante und oftmals abrupte Klimaänderungen aufgetreten;

* muß die um 1945 abgeschlossene laue Klimaphase, statistisch betrachtet, als wettergeschichtliche Rarität gelten — innerhalb des letzten Jahrtausends waren die Durchschnittstemperaturen auf der Erde nur in fünf Prozent des Gesamtzeitraums so milde wie in dieser Phase (siehe Graphik Seite 45).

Eine anhaltende Schönwetter-Ära vergleichbar der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, gab es nach Ansicht der Klimaforscher etwa in den Jahren 1080 bis 1200 nach der Zeitrechnung. Damals florierte überall in England der Weinbau. Und auf Grönland („Grünland“), wo die Wikinger Kolonien unterhielten, gedieh um das Jahr 800 eine üppige Vegetation.

Danach freilich rückte das Eis wieder südwärts und vertrieb die Wikinger: Sie wurden zu räuberischen Seefahrern, die mit ihren Überfällen Europas Küstenvölker terrorisierten. Ähnlich plötzliche Klimaschwankungen vor allem in Zentralasien hatten, so nehmen die Wissenschaftler an, ein paar Jahrhunderte früher auch die Völkerwanderungen mitverursacht.

Dennoch zählten die letzten 6000 Jahre, in denen die Menschheit von der Erde Besitz ergriff, insgesamt zu der mildesten in der irdischen Klimageschichte — obwohl auch in dieser Epoche die nach menschlichen Maßstäben eher unwirtlichen Phasen bei weitem überwogen. Was Zeitgenossen als »normales Wetter« bezeichnen, erscheint aus klimageschichtlicher Perspektive als positiver Ausnahmezustand.

Wodurch andererseits die kleiner und großen Wechselfälle im Erdklima herbeigeführt werden, können die Forscher bislang nur vermuten, und ihre Mutmaßungen sind oft widersprüchlich. So gibt es allein rund fünfzig verschiedene Hypothesen und Theorien, die das periodische Entstehen der Eiszeiten erklären sollen.

Einig sind sich die Wissenschaftler immerhin über einige Faktoren, die das komplexe Klimageschehen bestimmen, wie etwa die Schwankungen der Sonnenaktivität, Unregelmäßigkeiten in der Umlaufbahn des Planeten Erde um die Sonne, Schlingerbewegungen der Erdachse, Strahlenschauer aus den Tiefen des Universums und auch Veränderungen im irdischen Magnetfeld, die dann wieder auf den doppelten Strahlungsgürtel der Erde, den sogenannten Van-Allen-Belt, rückwirken — einen Schutzschild in 700 bis 60 000 Kilometer Höhe, der die »harten« Strahlen aus dem Kosmos auffängt und absorbiert.

In zunehmendem Maße kann freilich die künftige Klimaentwicklung auch durch Umwelteinflüsse bestimmt werden, für die der Mensch verantwortlich ist: etwa durch Kohlendioxid-Gas, wie es bei der Verbrennung von Kohle oder Erdöl entsteht, aber auch durch die Staub- und Abwärmeproduktion in den industriellen Ballungsgebieten.

Denn eines wissen die Klimatologen sicher — schon geringe und deshalb oft schwer meßbare Irritationen können das labile Weltklima ins Wanken bringen. Die Verringerung der Sonneneinstrahlung um nur ein Prozent oder eine Zunahme der durchschnittlichen Bewölkung des Planeten um nur vier Prozent würden genügen, um eine neue »große Eiszeit« auszulösen.

Wie dabei die höchst störanfällige Klimaanlage der Erde — in den Lehrbüchern der Wetterkunde meist als »thermodynamische Maschine« beschrieben — reagiert, ist bis heute nur in groben Umrissen bekannt. Im Detail läßt sich das komplizierte Regelkreis-System der kalten und warmen Windströme, der Meeresströmungen und der wandernden Hoch- und Tiefdruckzonen noch nicht überblicken.

Lokalisierbar sind die Dampfkessel des Klimasystems: Sie liegen am Äquator, im Bereich zwischen 30 Grad nördlicher und südlicher Breite; in diesem größtenteils von den Weltmeeren bedeckten Gürtel wird weit mehr als die Hälfte der auf die Erde ausgestrahlten Sonnenenergie gespeichert.

Die Hochdruckgebiete bleiben im Süden.

Der Energieüberschuß aus der tropischen Wetterküche wird beständig in Richtung auf die Pole abgetragen. Zunächst quillt die Wärmeenergie aus dem Meerwasser, meist als Wasserdampf, in die niedrigeren Luftschichten. Von dort steigen die feuchtwarmen Luftmassen zehn bis zwölf Kilometer hoch und fließen, oft mit »hoher Geschwindigkeit, nach Norden und Süden.

In den gemäßigten Breiten stoßen die tropischen Windströme auf den Rand der polaren Kaltluft-Polster — sie werden abgelenkt und biegen nun in einer überwiegend westöstlich fließender Luftstrom ein, der wesentlich die Klimaverhältnisse in diesen Gebieten bestimmt.

Die gegenwärtige Abkühlung vor allem auf der nördlichen Hemisphäre, so erläutern die Klimatologen anhand dieses Weltwetter-Modelis, habe dazu geführt, daß der nördliche Luftstrom-Gürtel gleichsam ein großes Stück nach Süden gerutscht sei. Die wichtigsten Folgen dieser Verschiebung:

* Aus dem Süden kommende Hochdruckzonen dringen nicht mehr so weit in den Norden vor wie früher — das Wetter in Nordeuropa, in Kanada und in den USA wurde, im Sommer wie im Winter, wechselhafter.

* Ebenfalls weiter nach Süden verlagerte sich ein Bereich, in dem vorzugsweise trockene und heiße Luftströme zirkulieren — die Wüstengebiete in diesen Gegenden dehnten sich deshalb südwärts aus (und erfaßten die Sahel-Länder).

* Blockiert auf ihrem Weg nach Norden werden schließlich auch die feuchten Monsun-Winde — sie entladen die mitgeführten Niederschlagsmengen teils ins Meer, teils über Gebiete, wo es ohnehin stets reichlich regnet.

Nicht zuletzt weil der Klima-Umschwung vor allem in jenen Breiten durchschlägt, die am dichtesten besiedelt sind und in denen zugleich der Hauptteil der Nahrungsmittel für die Weltbevölkerung produziert wird, betrachten viele Experten die Weitwetter-Entwicklung mit Sorgen.

Halte die gegenwärtige Klimaverschlechterung an, so warnt etwa der US-Wissenschaftler Reid Bryson, Direktor des Instituts für Umweltstudien an der Universität von Wisconsin, so werde sie demnächst womöglich »die ganze Menschheit in Mitleidenschaft ziehen« — »eine Milliarde Menschen würde verhungern«.

Schon jetzt, so Bryson, »zeigen sich die Folgen auf drastische Weise“: Die Getreideernten in Kanada und in den USA stagnieren; Mißernten häuften sich in der Sowjet-Union, Indien und Pakistan. In Peru, wo der kühle Humboldtstrom vor der Küste von wärmeren Wassern überlagert wurde, gingen die Anchovis-Fänge um 55 Prozent zurück.

Verhängnisvoller Dammbruch durch künstlichen Regen.

Das Ausbleiben der sardellenartigen Fische löste nicht nur in Peru eine Wirtschaftskrise aus; in Argentinien, dessen Viehherden auch mit Anchovis-Fischmehl versorgt werden, stockte die Rindfleischproduktion. Ähnliche Kettenreaktionen befürchten die Wissenschaftler künftig auch in anderen Entwicklungsländern.

Denn mittelfristig, glauben sie, sei eine Verbesserung des Erdklimas kaum zu erhoffen. Die Chancen für eine rasche Rückkehr des günstigen Klimas etwa der dreißiger Jahre, so taxierte der US-Wetterforscher James McQuigg, stünden »bestenfalls eins zu 10 000«. Globale Kälteperioden, so errechnete auch der britische Klimatologe Hubert Lamb, dauerten normalerweise mindestens 40 Jahre; Jahrzehnte würden vergehen, bis der Atlantik, einmal abgekühlt, ·sich wieder erwärmt habe.

Manche Klimabeobachter sehen gar eine erdumspannende Naturkatastrophe heraufziehen. So hält der österreichische Wissenschaftsautor Peter Kaiser („Die Rückkehr der Gletscher“) die gegenwärtigen Wetterveränderungen für Vorzeichen, die auf einen kommenden Zusammenbruch des irdischen Magnetfelds hinweisen — auf einen »Polsprung«, bei dem die magnetischen Erdpole ihren derzeitigen geographischen Ort wechseln würden.

Ein solcher Vorgang, der sich nachweislich in der Erdgeschichte schon mehrfach ereignet haben muß, würde laut Kaiser die Erdkruste in Bewegung setzen, gewaltige Flutwellen auslösen, Vulkankrater aufreißen — kurz: ein Weltuntergangs-Inferno heraufbeschwören, wie es in den Mythen nahezu aller Völker beschrieben wird. Vorsorge gegen das apokalyptische Unheil hält Kaiser für wirkungslos, mithin für unnütz.

Freilich, die meisten Klimaforscher und Meteorologen, berufsbedingt eher vorsichtig mit Langzeitprognosen, beurteilen Kaisers Untergangsvisionen skeptisch. Doch die Pessimisten unter ihnen empfehlen jedenfalls schon jetzt Vorbeugungsmaßnahmen. Der kanadische Wetterwissenschaftler Kenneth Hare etwa rät den Regierungen dei vom Klimawandel betroffenen Länder Lebensmittelvorräte anzulegen. Angesichts der Erfahrungen nach den besonders schweren Mißernten im vor letzten Sommer hegt Hare Zweifel »daß die derzeitige Weltbevölkerung noch ernährt werden könnte, wenn drei Jahre wie 1972 hintereinander kämen«.

Energischer denn je zuvor treiben unterdessen die Meteorologen Forschungsprogramme voran mit dem Ziel, atmosphärische und klimatische Abläufe künftig besser kontrollierer und voraussagen zu können. So ist gegenwärtig, in Äquatornähe vor der Westküste Afrikas, die bislang größte meteorologische Expeditionstruppe ausgerückt — 4000 Mann stark, mit 38 Schiffen, 13 Flugzeugen und 65 automatischen Meßbojen; sechs Wettersatelliten sind gleichfalls an dem Unternehmen beteiligt.

Drei Monate lang messen und registrieren die Forscher aus insgesamt 66 Ländern im Rahmen des »Gate« („Global Atmospheric Research Program Atlantic Tropical Experiment“) genannten Projekts die wetterphysikalischen Vorgänge am Äquator: Sie untersuchen die Meeresbewegungen, die Wolkenbildung oder die Entstehung von Stürmen. Bis etwa 1980 wollen die Wetter-Experten mit gleicher Akribie das Polklima, die asiatischen Monsune und schließlich die Erdatmosphäre im ganzen durchmustern; die Daten-Ausbeute, gespeichert auf Zehntausenden von Magnetbandspulen, soll dann in den Weltdatenzentren von Moskau und Washington gespeichert werden.

Vom Ergebnis der Meßdaten-.Sammelaktionen — und zudem von größeren und schnelleren Computern — versprechen sich die Wetterpropheten nicht nur verbesserte Prognosen, Zehntage-Vorhersagen etwa, so zuverlässig wie derzeit die 48-Stunden-Vorschau (mit durchschnittlich 85 Prozent Treffsicherheit). Die Meteorologen hoffen außerdem, dank genauerer Kenntnisse künftig das Wetter, womöglich gar das Erdklima, planvoll beeinflussen zu können.

Gezielt wie ungewollt geschieht längst beides: Vor allem in der Sowjetunion, in den USA und in Kanada »melken« Wettermacher Regenwolken mit Silberjodid, das von Flugzeugen versprüht wird. Mittels Zementpuder Granaten, von Geschützen abgefeuert werden Hagelwolken unschädlich gemacht.

Jährlich 50 000 Silberjodid-Raketen veufeuert beispielsweise die Wetter-Artillerie in den Weinbaugebieten der italienischen Po-Ebene. Auf ähnliche Weise können Gewitter vertrieben, Nebelfelder aufgelöst oder Stürme gebändigt werden — durchweg zum Wohl der Landwirtschaft und der Seefahrt.

Oft unheilvoll wirken sich hingegen lokale Klimaänderungen aus, wie sie etwa in Thailand, Burma, Vietnam oder im brasilianischen Amazonasbecken auftraten, wo im letzten Jahrzehnt auf riesigen Flächen die üppigen tropischen Regenwälder gerodet wurden. Dort, wo einst der Dschungel wucherte, entstand Ödland mit ziegelhartem Boden, der für die Bewirtschaftung unbrauchbar ist.

Als gefährlich erwies sich mitunter ebenso das künstlich modifizierte Klima über vielen Großstädten, die unter einer Abgas-Glocke gleichsam »Wärme-Inseln« bilden. In Stuttgart führte der Hitze-Stau im August 1972 zu einer Unwetter-Katastrophe, als die in einem Talkessel gelegene Stadt unversehens von schweren Wolkenbrüchen überschwemmt wurde.

Aber auch die Regenmacher verlieren zuweilen die Kontrolle über das manipulierte Wetter: Nahe der US-Stadt Rapid City änderte 1972 eine mit Silberjodid »geimpfte« Wolkenfront jäh die Richtung, entlud ihre Regenfluten über einem Campingplatz und löste einen Dammbruch aus — mehr als 200 Menschen kamen ums Leben.

Solche Beispiele illustrieren die Schwierigkeiten der Wetterforscher bei ihren Versuchen, sich gleichsam ein Modell der atmosphärischen Vorgänge zu bauen, das — etwa in Computer-Simulation — denselben Gesetzen folgen würde wie das wirkliche Wetter. Ein derartiges Modell, so erläuterten die beiden US-Klimatologen William W. Kellogg und Stephan H. Schneider, müsse alle »klimatischen Feedback-Mechanismen« des Weltwettersystems enthalten — ein bislang noch völlig unüberschaubares Gewirr von Rückkopplungsschleifen und Wechselwirkungen.

Vorerst, so verdeutlichten die Forscher, sei kaum abzusehen, welche Folgen beispielsweise eine künstliche Erwärmung der Erdatmosphäre hätte: Womöglich werde über den Meeren mehr Wasser verdampfen, und die Bewölkung zunehmen; damit würde die Sonneneinstrahlung gebremst und das Erdklima kühler werden.

Doch für denkbar halten Kellogg und Schneider auch den umgekehrten Effekt: Die Wärmezufuhr, kalkulieren sie, könnte dazu führen, daß Teile der arktischen Eisflächen schmelzen; in den vom Eis befreiten Gebieten würde fortan mehr Sonnenenergie resorbiert als vorher — die Temperaturen auf der Erde würden nun noch rascher steigen.

Daß den Denkspielen der beiden Klimaforscher schon jetzt praktische Bedeutung zukommt, läßt ·sich an einem Projekt sowjetischer Wissenschaftler aufzeigen, die vier große sibirische Flüsse umleiten wollen: Die ströme, die bisher jährlich 40 Milliarden Liter Süßwasser ins Nördliche Eismeer spülen, sollen in Stauseen aufgeangen werden und künftig die ausgedörrte sibirische Steppe bewässern helfen.

Wie inzwischen auch russische Forscher befürchten, könnte das Vorhaben die klimatischen Verhältnisse auf der gesamten nördlichen Halbkugel verändern: Das Nördliche Eismeer, des Süßwasser-Zustroms beraubt, würde salzhaltiger werden und im Winter nicht mehr zufrieren. Damit dürfte nach Ansicht des britischen Klimatologen Lamb die Durchschnittstemperatur in der Arktis um zehn bis 20 Celsiusgrade steigen, im Winter sogar um 30 Grad.

»Ein solcher Wandel«, glaubt Lamb, könne »die gesamte Dynamik der Windbewegungen und damit die Verteilung der Niederschläge auf der nördlichen Hemisphäre« durcheinanderbringen. Die Winter in Nordeuropa und Nordamerika, schätzen andere Forscher, würden kälter werden, und in vielen Gebieten, etwa West- und Südeuropas, würde es weniger Schnee und Regen geben als bisher.

Noch einige Jahre, vielleicht Jahrzehnte wird es wohl dauern, bis die Wetterwissenschaftler über ein umfassendes Klima-Modell verfügen, das kalkulierte Wetter-Manipulationen ermöglichte. Doch Furcht beschleicht die Forscher heute schon vor einer Zukunft, in der das Wetter nicht mehr, wie derzeit noch, als unabwendbares Naturschicksal hinzunehmen wäre.

Mit Mißtrauen verfolgen viele Klimatologen das Treiben der Wettermacher — allein in den USA widmen sich insgesamt sieben Behörden der Wetter-Manipulation, darunter auch militärische Forschungsstellen. Längst diskutieren die Wissenschaftler deshalb die Frage, wie dereinst, so Kellogg und Schneider, »die Klima-Kontrolleure kontrolliert« werden sollen.

Möglichst bald, verlangen die beiden Forscher, müsse eine internationale Organisation für die Klima-Überwachung geschaffen werden. Die Wetter-Wächer hätten nach Ansicht der Experten einstweilen vor allem für die Erhaltung des erdklimatischen Status quo zu sorgen.

Doch bevor es dazu käme, könnte die anhaltende globale Klimaverschlechterung zu einer »Katastrophe auf Raten« („Deutsche Zeitung“) führen. So sehen Fachleute Vorboten kommenden Unheils gegenwärtig etwa im Mittleren Westen der USA, wo seit vielen Wochen andauernde Trockenheit die Sojabohnen- und Getreideernte gefährdet, oder im Fernen Osten: In Indien, Pakistan und Sri Lanka (Ceylon) vernichteten Ende Juli Unwetter einen großen Teil der Ernte — zugleich wurden rund 15 Millionen Menschen obdachlos.

Wenn die Serie von Mißernten sich fortsetze, so warnte jüngst der US-Biologe Paul Ehrlich, gebe es für die Einwohner vor allem in den von einem Drittel der Menschheit bevölkerten Monsunländern »keine Rettung«. Während einst von Klimaschwankungen bedrohte Völker — etwa die Hethiter in Vorderasien oder die Bewohner des Mali-Reichs in Afrika — ihre Heimat verließen, um dem Untergang zu entrinnen, ist die Welt heute, so das US-Magazin »Fortune«, »zu dicht besiedelt und zu sehr politisch zerstückelt, um Massen-Wanderungen zu ertragen«.

Nur eine rasche Hilfsaktion der Industrienationen, fürchtet Ehrlich, könne die Katastrophe abwenden. Allerdings, die reichen Länder des Westens, klagt er, hätten ihr Versagen beim Krisenmanagement schon in der Ölkrise Ende 1973 unter Beweis gestellt.

Verglichen aber mit den möglichen Folgen des weltweiten Klima-Problems, glaubt Ehrlich, mute die aktuelle Energiekrise fast harmlos an — Ehrich: »Eine Pussycat-Krise im Verhältnis zu den Tigern um die Ecke.«

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